Der Mitreiser und die Überfliegerin | | Mira Valentin | | Selfpublisher | | Roman (?) | | eBook | |
290 Seiten | | 1/1
290 Seiten | | 1/1
Die Welt des 18-jährigen Milan gerät aus den Fugen, als seine Sandkastenfreundin Jo bei einem Kletterunfall ums Leben kommt. Doch dann fliegt ihm plötzlich ein weißer Wellensittich zu, der ihn ganz bewusst zum Zirkus Salto lockt. Dort lernt Milan die schöne, aber womöglich verrückte Trapezkünstlerin Julie kennen. Angezogen von ihrer sonderbaren Theorie über magische Menschen und Seelentiere reist Milan mit dem Zirkus und lernt: Es erfordert eine Menge Mut, sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen. Oder Magie – ganz wie man es nimmt.
Lange schiebe ich diese Rezension nun schon vor mir her... Warum? Ich fand, finde, die Worte nicht, die diesem unvergesslichen, besonderen und aufwühlenden Buch gerecht werden. Keine üblich strukturierte Rezension, mehr ein Durcheinander meiner Gedanken.
In keine Genrekategorie problemlos einzuordnen, in dieses Buch vor allem eine Liebeserklärung an das Leben. Trotz und wegen der Verzweiflung und Depression. Mira ist es auf atemberaubende Weise gelungen, von der ersten Seite an eine Atmosphäre völliger Verzweiflung, Selbstaufgabe und Ziellosigkeit aufzubauen und mit dem Zirkus ein krassen Kontrast zu Milans trister Welt zu errichten. Nur damit dem Leser nach und nach klar wird, dass es nicht nur schwarz und weiß gibt. Auch der Zirkus, Inbegriff von Farben und Leben, ist letztlich nur eine Ansammlung mehr oder minder tragischer Schicksale, der Versuch, dem Alltag zu trotzen, die letzte Magie unserer Welt einzufangen. Man muss sich gedanklich für die Vertreter- Geschichte öffnen. Wenn man das kann und will, ist die Idee so einleuchtend wie charmant.
»Die Vertreter«, sagte sie ernst. »Die Feinde der Magie.
Sie jagen uns und entziehen uns unsere Zauberkraft. Sie haben Angst, andere
Menschen würden durch uns in den wahren Kreislauf zurückgeführt werden, deshalb
hassen sie den Zirkus. Denn zu Beginn seines Lebens ist jeder Mensch magisch.
Aber die Welt, die die Vertreter erschaffen haben, hat keinen Platz für Magie.
Ihnen geht es nur um Macht, Fortschritt und Geld. Magische Menschen verstehen
sich nicht auf so etwas. Je weniger Magie in den Menschen wohnt, desto besser
gedeiht die Vertreter-Kultur. Kannst du das nicht erkennen? Sieh dich doch mal
in deinem Leben um!«
Alles beginnt und endet mit den Charakteren. Das Buch ist keine klassische Fantasystory, es gilt also keinen Drachen zu besiegen, magische Quest zu erfüllen oder machtvolle Kraft auszubilden. Die Entwicklung der Charaktere, das stetige Auf-und-ab, die Sinnsuche, der verzweifelte Wunsch, herauszufinden wer sie sind und was sie können... das macht die Handlung aus. Zirkusleben und Kampf gegen die Vertreter sind hierbei für mich nur der rote Faden, an dem sich besagte Handlung entlangwindet. Und die Charaktere sind facettenreich. Ecken und Kanten, Schwächen und Stärken. Man kann sie ins Herz schließen, es genauso gut aber auch nicht vermögen. Milan in seinem schier unerträglichen Selbstzweifel und -hass, so zerbrochen... und gleichzeitig mutig und stark. Ich konnte ihn im Laufe des Buches mit den Augen Julies zu sehen beginnen. Nicht strahlend, nicht schön. Aber einzigartig und für sein Wesen liebens-wert. Und Julie...Überfliegerin, wagemutig, scheinbar um so vieles stärker als Milan. Aber ohne Halt, er wurde zu ihrem Sicherheitsnetz, Anker, doppelten Boden... berührend starke, fragile Liebesgeschichte.
»Denn dann gibt es noch die letzte Art von Menschen. Die
sind genauso selten wie die dummen Mitreiser, die nicht auf sich aufpassen
können. Es sind jene, die wagemutig sind und trotzdem ihre Grenzen achten.
Manchmal gehen sie ein Stück darüber hinaus, aber niemals so weit, dass die
Strömung sie ergreift und davonträgt. Solche Wagemutigen können alles werden:
Meeresbiologen, Atlantik-Überquerer, Drahtseil-Artisten. Sogar Tiger-Dompteure.
Julies Gabe ist nicht dieser Trapezring, sondern ihr Wagemut.«
In all´ der Dramatik - immer wieder Lichtblicke, Momente und Szenen, die von einer intensiven Lebensfreude getragen werden, kraftvolle Augenblicke voller Wahnsinn, vermittelt durch einen bildlichen Schreibstil, dessen Sog einen den Staub der Manege einatmen lässt. Und das Ende. Bittersüß, hoffnungsvoll, Befreiungsschrei. Ob Magie die Geschichte vorantreibt, oder ob es "nur" das Leben ist, diese Entscheidung bleibt dem Leser überlassen. Genre: offen.
Man muss sich auf dieses Buch einlassen können, es nicht vergleichen oder kategorisieren wollen. Denn ja, die Geschichte ist dramatisch, für manchen Geschmack überdramatisiert, und ja, sie ist vor allem eines: abgefahren und abstrus. Aber wenn man all´ das zulässt, sich einfach durch den Strudel der Emotionen treiben lässt, findet man eine einzigartige, erfrischend ungewöhnliche Geschichte, die weder in Erzählstil noch Handlungsaufbau bekannten Schemata folgt.
... noch ein paar Worte zu Gestaltung und Titel:
[5/5] Bereits als ich das Cover zum ersten Mal gesehen habe, habe ich mich in es verliebt. Die Farbkombination, das Zirkusmotiv... hach *-* Der Titel lässt bereits erahnen, wie ungewöhnlich die Geschichte ist und passt bestens zu ihr.
VIELEN DANK AN MIRA VALENTIN FÜR DAS REZENSIONSEXEMPLAR
Atemberaubend! Von der ersten bis zur letzten Seite an unkonventionell und berührend und trotz düsterer Gedanken so voller Lebenskraft, Mut Magie - der Magie des Augenblicks. Man sollte sich aber auf die Geschichte einlassen können oder sich zumindest ihrer Eigen-Artigkeit bewusst sein.
außergewöhnlich ~ emotional ~ kraftvoll
Welche Bücher habt ihr bisher gelesen, auf die man sich einlassen können musste? Die definitiv nicht jeden Lesergeschmack treffen (werden), euch aber berühren, beeindrucken konnten? Und wenn ihr euch einem Zirkus anschließen würdet... was wäre eure Rolle, eure Aufgabe? Welche Artistik würdet ihr euch zutrauen?
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