Donnerstag, 6. Februar 2020

Was zur Hölle?! ~ Kiffen, Kaffee & Kajal oder endlich wieder intoleranter Müll: (K)eine Rezension

 Rezension Kiffen, Kaffee & Kajal Kerim Pamuk
Kiffen, Kaffee und Kajal | | Kerim Pamuk | | Gütersloher Verlagshaus | | Sachbuch | | B | | 224 Seiten | | 1/1

Wenn Sie gerne Schach spielen, Pasta essen und sich auf dem Sofa lümmeln, sind Sie was? Richtig, ein Orientale! Klingt komisch? Ist aber so. Denn diese Dinge gelangten aus dem Orient nach Europa. Und das ist nur die Spitze des Dönerberges, denn das Abendland wurde schon seit Jahrhunderten kulturell, kulinarisch und wissenschaftlich überflutet, unterwandert und beeinflusst, oder kurz und korrekt: bereichert. Sogar im Allerheiligsten der Spießerseligkeit hat sich der Orient richtig breitgemacht, im deutschen Wohnzimmer. Glauben Sie nicht? Dann folgen Sie Kerim Pamuk auf seiner vergnüglich-investigativen Tour durch 1500 Jahre Kulturgeschichte und Migration. Sie werden das Fremde im Vertrauten und das Vertraute im Fremden entdecken: Wo »wir« draufsteht, sind sehr oft »die« schon drin!


Als ich beim Stöbern zufällig über dieses Buch stolperte, war ich sofort Feuer und Flamme - Humor meets Geschichte?! Die letzten Seiten ließen mich jedoch fassungs- und zunächst sprachlos zurück; lest selbst.

Als ich das erste Kapitel anlas, dachte ich "BAMM! Das wird genial". Der Ausflug in die Welt der Worte und ihrer Herkunft war jedoch auf wenige Seiten begrenzt und der historische Teil des Buches begann - womit ich zwar nicht gerechnet hatte, was mich aber erstmal auch nicht störte. Viele Namen, viel kleinteilige Erzählung  - aber informativ und bis ins Detail recherchiert! 

Von Kapitel zu Kapitel jedoch sank meine Lesemotivation, fehlte mir doch ein roter Faden. Das Buch ist weniger eine strukturierte Reise durch Kunst, Kultur und Geschichte der islamischen Welt, sondern mehr eine lose Erzählung über alles, was irgendwie "orientalisch" ist - weit ausholend jedes Mal. Die Geschichte der Tulpen, die Ausbreitung des Schachspiels und Machtkämpfe bei Abbassiden, Osmanen & Co. Ich fand das zwar alles durchaus interessant, aber mir fehlte der Kit, ein "und deshalb ist das alles relevant". Klar, der Klappentext gibt das schon her, das Buch soll zeigen, wie ähnlich sich das "hier" und das "dort" sind, das auf beiden Seiten Menschen stehen... Das schwang jedoch sehr, sehr subtil nur mit und hätte gerne expliziter ausformuliert werden können.

Während die Präsentation des reichhaltigen Schatzes an Wissen zur islamischen Welt für mich also kleinere Mankos hatte, störte mich eines gewaltig: Die persönlichen Einschübe des Autors über seine Kindheit und Eltern, vor allem seine Positionierung am Ende. Denn, was zur Hölle???! 

»Die heutigen metrosexuell »angetouchten« Fußball- und Musikstars, die mit rasierter Brust und glitzernden Diamanten im Ohr herumgockeln, würde ich am liebsten zur Wiederentdeckung ihres eigentlichen Geschlechts in ein nordkoreanisches Militärcamp stecken.«

Da bleibt mir doch die Spucke weg, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll?! Ja, der Autor ist Kabarettist und der Schreibstil humorvoll bis bitterböse - das jedoch geht über jede Grenze der Satire hinweg und ist, wie dieser Absatz auch eingeleitet wird, leider der volle Ernst des Autors, der beweint, dass der "schreckliche Feminisierung [...] selbst die Mauern der letzten rein männlichen Bastionen geschleift" hat, den Fußball. Während des Lesens hatte ich schon an einigen Stellen auf Grund eines androzentrischen und subtil patriarchatsbejahenden Tones gestutzt, das aber auf künstlerische Freiheit und flapsigen Ton geschoben. Diese Positionierung zu Ende des Buches ruinierte mein Bild vollständig. Zumal ich diese privaten Anteile auch höchst unnötig empfand - entweder, dies ist ein Buch über Kunst, Kultur, Geschichte und Erfindungen "des Orients" oder eine autobiographische Erzählung über die Migration seiner Eltern, seine Jugend und Integration und Umgang mit dem Leben zwischen zwei Welten. Die entstandene Mischung aus Beidem war für mich irritierend. 

»So wie aber Integration und Respekt keine Einbahnstraßen sind, ist auch Dankbarkeit keine, denn die Inländer haben ebenfalls allen Grund dankbar zu sein. Sie wurden bereichert, nicht nur durch die Milliarden, die jene arbeitenden Gäste in die Rentenkasse und Steuersäcke steckten, sondern auch durch die Kulinarik, die Orientalen nach Europa und Deutschland »eingeschleppt« haben.«

Irritierend auch, wie klar sich Kerim Pamuk zu Fremdenfeindlichkeit positioniert, die Blödsinnigkeit der Argumente gegen "die Ausländer" und "die Flüchtlinge" richtigerweise hervorhebt und zugleich auf ganz anderer Ebene ähnliche Intoleranz und rückständiges Denken zeigt.

ANMERKUNG: Warum schreibe ich "Orient" in Anführungsstrichen? Um es knapp zu fassen, ist "Orient" ein westliches Konstrukt, eine Projektionsfläche, ein Abgrenzungsbegriff und nicht neutral, sondern abwertend, exotisierend. Ausführlich und wunderbar differenziert dazu dieser Artikel


... noch ein paar Worte zu Gestaltung und Titel:
[5/5] Die Gestaltung des Buches ist äußerst ansprechend, zumal sich das Muster zu jedem Kapitelanfang wiederfinden lässt. Auch den Titel finde ich klasse, auch wenn es ungünstig ist, dass das Akronym ausgerechnet KKK ist...


 Orientalismus Androzentrismus Gender-Feindlichkeit sexistischer Kackscheiß
VIELEN DANK AN RANDOMHOUSE FÜR DAS REZENSIONSEXEMPLAR

In einem Wort: Zwiespalt! Einerseits durchaus unterhaltend geschrieben, sorgfältigst recherchiert und informativ, andererseits ohne roten Faden lose zusammengeschrieben und in der intoleranten Positionierung untragbar und unerträglich.

informativ ~ zusammengewürfelt ~ unterhaltsam

Hattet ihr schon mal den Zwiespalt, ein Buch bewerten zu müssen, das ihr einerseits nicht schlecht fandet, es aber andererseits untragbare Positionen/Ansichten enthielt? Wenn ihr übrigens Interesse an der islamischen Welt habt, kann ich euch "Islamische Kultur und Geschichte" von Peter Ortag empfehlen - eine kostenlose Publikation über die Bundes-/Landeszentralen für politische Bildung, die einen weit gefächerten Einblick gibt.

8 Kommentare:

  1. Moin Ronja,

    oha, also ich glaube, bei solchen Aussagen des Autors hätte ich das Buch gar nicht bewertet. :/
    Ich habe letztes Jahr "Deutschland Schwarz weiß" von Noah Sow gelesen und weiß bis heute nicht, wie ich eine Rezension schreiben soll... Grundsätzlich war das Werk wichtig und interessant, aber dazwischen gab es immer wieder Aussagen, die ich übertrieben oder pauschalisierend fand... Also vermutlich wird es dazu nie eine Rezension von mir geben. :'D Das sind dann ja auch solche Themen, wo man schnell missverstanden und es dann persönlich wird.

    Liebe Grüße
    Alica

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    1. Ahoi Alica,

      ah ja, über das Buch habe ich auch schon einiges gehört. Wirklich ein Mienenfeld, die politischen Themen... war aber halt ein Rezensionsexemplar, da wollte ich mich eines Kommentars nicht enthalten... aber ja, vielleicht wäre ohne Bewertung besser gewesen; lief nur meiner Ordnungssucht zu wider xD

      Anyway ja, ich war echt geschockt. Dass jemand so denkt, schlimm. Dass jemand das Gefühl hat, dass auch so sagen zu dürfen, schockierend. DASS EIN VERLAG DAS SO DRUCKT: WTF???!

      Liebe Grüße und danke für deinen Besuch!

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    2. Ja, bei politischen Themen macht man sich auch schnell Feinde. ^^°
      Und manchmal frage ich mich eh, wer lektoriert hat und warum solche "Ausrutscher" durchgehen...

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  2. Hallo liebe Ronja,

    mir stellt sich zur Zeit gerade die Frage, wie alt ist denn der Autor?
    Wo nimmt er seine Lebens-und Einstellungserfahrungen her?

    LG..Karin...

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  3. Ahoi Karin,

    Jahrgang 1970 ^^ Eigene Migrationserfahrungen, aber das legitimiert solch Gedankengut in keinster Weise.

    LG Ronja

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  4. Hallo Ronja,

    schade, dass er dann zu solchen Urteilen neigt, gerade wenn man diesen Hintergrund hat...sollte man doch aufgeschlossener und toleranter sein...schade...schade...

    LG..Karin..

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