Samstag, 24. September 2022

{Rezension} In 80 Büchern um die Welt: Abenteuerliche Reisen von Marco Polo, Anna Seghers, Paulo Coelho, Wolfgang Herrndorf u.v.a

In 80 Büchern um die Welt || wbg Verlag || Sachbuch || HC || 256 Seiten || 1/1

Warum hielten die Menschen Jules Vernes‘ Reise um die Welt in 80 Tagen für eine wahre Geschichte? Wie entstand die Idee zu Mary Shelleys Frankenstein? Wann verfilmte Ang Lee Schiffbruch mit Tiger? Von der Odyssee zu Americanah, von Robinson Crusoe zu Tschick: Dieser prachtvoll ausgestattete Bildband ist eine Bereicherung für Ihre Bibliothek und ein ideales Geschenk für Buchliebhaber und Reiselustige! Nachdem Sie in »Wonderlands« fantastische Welten entdecken konnten, führt die Reise Sie dieses Mal hinaus in die weite Welt und hinein in Lieblingsbücher aus 8 Jahrhunderten. Gern gelesene Klassiker der Weltliteratur, berühmte Reiseerzählungen und moderne Bestseller lassen Sie fremde Kontinente erkunden und an den unglaublichsten Abenteuern teilnehmen. Ob als Outlaw, Flugpionier, Taucher, Romantiker, Walfänger oder Prinzessin: Dieser Streifzug durch die Abenteuerliteratur lässt Sie tief in Bücherwelten eintauchen - ein fabelhafter Spaß für reiselustige Leseratten!


Abenteuerliche Reisen und ganz viele Bücher? Nehmt mich mit; mein Seesack ist gepackt!

Nachdem ich mit Wonderlands als Reiseführer unter dem Arm fantastische Welten - von Hogwarts über Utopia und Wunderland in die Stadt der Frauen oder auch zu weniger bekannten Orten; die Vielfalt war groß - erkundet habe, war ich nun gespannt auf "wahre" Orte und Reiseberichte.

Dieses Buch ist eines, bei dem einfach Freude aufkommt, es in den Händen zu halten - äußerst angenehmes Format, das zum Blättern und Lesen förmlich aufruft und einladende Innengestaltung. Mindestens eine Doppelseite pro Buch, auf der stets eine Coverabbildung sowie ein Autor*innenporträt zu finden ist, dazu häufig Fotos, Zeichnungen, Karten oder andere Illustrationen sowie Zitate und Hintergrundinformationen zu Werk und Autor*in. Hier hätte ich mir lediglich gewünscht, das konsequent immer die Lebensdaten am Seitenrand angegeben werden; manchmal fehlten die. Und was mir sowohl bei früheren wbg-Titel als auch bei anderen Bildbänden (negativ) aufgefallen ist: Wenn ein Satz (oder sogar Wort) am Ende der Seite unvollendet bleibt, dann aber erstmal eine illustrierte Doppelseite fehlt - hätte man das beim Drucksatz nicht geschickter lösen können? Aber alles kleine Wehwehchen angesichts ansonsten wundervoller Gestaltung.

Beim Lesen jedoch, denn dieses mal bin ich allen 80 Büchern gefolgt, überkamen mich zunehmend Zweifel. Zweifel an mir selbst. War ich euphorisch durch die Seiten Wonderlands geflogen, wollte der Funke dieses Mal jedoch einfach nicht überspringen. Aber warum, was störte mich; das Buch war doch "von den Machern von Wonderlands", es müsste doch eigentlich genauso nur anders sein?

Well, ich hab dann mal geblättert und recherchiert - auf die Herausgeberin Laura Miller von besagtem anderen Buch stieß ich nicht mehr, die Übersetzer*innen sind bei beiden Titel auch verschieden und Literary Journeys mapping fictional Travels across the World of Literature, wie das Buch im Original heißt, was auch erst in kleinster Schrift der letzten Seite zu entnehmen ist, das habe ich im Netz nicht gefunden. Sehr wunderlich alles. Auf den letzten Seiten werden aber zumindest sämtliche Autor*innen der Texte im Buch vorgestellt; nach einer Autor*innenangabe hatte ich länger gesucht. Worauf sich das "von den Machern von Wonderlands" bezieht, ist mir also nicht klar - einfach den Verlag? 

Anyway, mit diesem Wissen im Hinterkopf - die Texte haben andere Leute geschrieben und übersetzt, als die bei Wonderlands, konnte ich mein Unbehagen dann langsam in Worte fassen - ich hatte das Gefühl, im Feuilleton zu blättern. Nur in hübsch gestaltet. Für mich sind die Texte zwar sprachlich anspruchsvoll und grammatikalisch komplex, aber letztlich inhaltloses Getöse. Die meisten enthielten so viele Spoiler, dass ich wenig Lust verspüre, die vorgestellten Bücher noch zu lesen - wofür auch - und gleichzeitig doch unbefriedigend ob fehlender Auflösung zurückbleibe. Wenn mir schon die gesamte Handlung samt Wendepunkten erzählt wird, will ich auch wissen, wie es nun ausgeht. Andere Texte blieben so diffus und vage, dass ich selbst bei Werken, die ich gelesen habe, Schwierigkeiten hatte, den Inhalt wiederzuerkennen geschweige denn bei mir unbekannten Titeln nach Lesen des Textes wiederzugeben, worum es genau geht. Es wird sich in Allgemeinplätzen ergangen und bedeutungsvolle Worte aneinandergereiht, was die Texte für mich anstrengend zu lesen machte, ohne mich zu euphorisieren.


Ich will keinen übellaunigen Eindruck entstehen lassen - die Texte sind nicht schlecht, nein wahrlich nicht; handwerklich sind sie wenig kritisierbar und stets voller literarischer Zuneigung zu Werk und Autor*in; Bibliophilie und Reiselust spricht durchaus aus ihnen - nur waren sie nicht, was ich mir erhofft hatte. Zu viel und gleichzeitig zu wenig; mehr anspruchsvolle Besprechung von Literaturkritiker*innen untereinander, als Vorstellung und Zusammenfassung. Dementsprechend ist meine Enttäuschung auch eine subjektive, die sicher nicht alle (so) teilen und erleben werden.

Gegliedert ist das Buch im Übrigen in die vier (zeitlichen) Abschnitte "Expeditionen und Reisen", "Zeitalter des Reisens", "Postmoderne, neue Wege" und "Reisen in der Gegenwart". Mir ist natürlich bewusst, dass es aus einer Vielzahl von politischen, kulturellen und historischen Gründen vor allem Berichte weißer Männer in das Literaturgedächtnis geschafft haben, hätte mir aber dennoch mehr Vielfalt bei den Werken erhofft. Der Großteil der Reisen dieses Buches findet nicht nur auf europäischem oder nordamerikanischem Boden statt; sie wurden auch aus westlicher Perspektive verfasst. Etwa ein Viertel der Autor*innen, deren Werke vorgestellt werden sind weiblich; nicht einmal ein Fünftel BIPoC - und die wiederum sind fast alle im 20. und 21. Jahrhundert verortet. Ich bin mir sicher, dass auch aus früheren Zeiten vorstellenswerte Werke hätten gefunden werden können. Schade auch, dass bis auf die einmalige Verwendung von "Leser(innen) in der Einleitung konsequent auf das Gendern verzichtet wird und stets von Autor und Leser die Rede ist.

Wen es interessiert; Die Odyssee, Marco Polo, Don Quixote, Robinson Crusoe, Frankenstein, Die Abenteuer des Huckleberry Finn, Moby Dick, Reise um die Erde in 80 Tagen und Der Alchimist sind die vorgestellten Titel, die sich auch in meinem Regal finden lassen. Jospeh Conrad, H.G. Wells, Jeanette Winterson, Sir Walter Scott und Jack London sind jeweils mit anderen Titeln, als denen hier vorgestellten, in meinem Regal vertreten. An meinen Wunsch, Dracula und Herz de Finsternis zu lesen, hat mich das Buch erinnert;  Die Giftholzbibel und Die Überfahrt sind auf meine Leseliste gewandert und Lolita, Verlangen, Eine gute Partie, sowie Zeichen, die vom Weltende künden, klingen interessant für mich.


... noch ein paar Worte zu Gestaltung und Titel:
[5/5] Zur wundervollen (Innen-)gestaltung habe ich mich ja schon geäußert; auch das Cover gefällt mir, zumal es hervorragend zu seinem älteren Geschwisterkind passt. Auch der Titel ist geschickt gewählt; kommt einem doch gleich die abenteuerliche Reise des Phileas Fogg in den Sinn.


VIELEN DANK AN STIFTUNG LITERATURTEST FÜR DAS REZENSIONSEXEMPLAR

Ein Schatz für das heimische Bücherregal und eine wahre Freude für Auge und bibliophiles Herz - und für mich dennoch enttäuschend, da ich mit dem Stil der Texte nicht warmwurde. Auch wenn meine Leseliste gefüttert wurde, konnte das Buch keine Euphorie in mir auslösen.

bibliophil ~ anspruchsvoll ~ optisch ansprechend

Lest ihr gerne Reiseberichte und/oder Bücher über das Reisen? Welche könnt ihr empfehlen? Und hat schonmal ein Buch den Wunsch in euch ausgelöst, an einen bestimmten Ort zu reisen?


 Ähnliche Bücher in meiner Schatztruhe:
{mit einem Klick auf die Cover gelangt ihr zu den Rezensionen}

2 Kommentare:

  1. Hallo liebe Ronja,


    hm, bist Du mal wieder an Land ??
    Und dann geht es bei Dir welch um Gendern....hm..hm.....was ist das interessante dabei frage ich mich manchmal......??

    Freundlichkeit und gegenüber jemand anderen, Unbekannten offen umzugehen finde ich da viel wichtiger und dafür braucht es auch für mich kein Gendern...weiße/alte Männern....gibt es nicht auch weiße/alte Frau.....wieso werden da schon wieder Unterschiede gebracht...

    LG...Karin..

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    1. Ahoi liebe Karin,

      ja genau, ich bin (wenn auch unfreiwillig da krankgeschrieben) mal länger an Land - hat zumindest den Vorteil, dass ich wieder mehr zum Lesen & Bloggen komme.

      Was das Buch angeht - Diversität & Gendern sind nicht meine Hauptkritikpunkte; ich hätte mir das gewünscht, aber mein "Problem" ist und bleibt, dass mir die Texte einfach nicht zusagen.

      Aber ja, ich habe die letzten Jahre da eine Sensibilität für bekommen und bemühe mich auch selbst um eine inklusive Sprache - der Witz ist ja, dass sie niemanden ausschließt, sondern einfach nur mehr Menschen mitdenkt und einbezieht als dass gewohnte generische Maskulinum. Dass das jedoch kein Selbstläufer ist - klar. Was letztlich wirklich zählt, ist, da kann ich dir nur zustimmen, Freundlichkeit und Offenheit!

      Und was Bücher (und Filme usw.) angeht, finde ich schon, dass es einen Unterschied macht, wer da zu Wort kommt und wessen Perspektiven gedruckt werden - mal ganz davon abgesehen, dass Vielfalt einfach bereichernd ist ^^

      Hab ein wunderbares Wochenende
      Ronja

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