Mittwoch, 19. Oktober 2022

Feministische Leseliste


Ahoi! Nach der schier endlosen Lektüre während meines Politikstudiums war mir eine Zeit lang die Lust auf politische und akademische Texte vergangen; mittlerweile habe ich wieder Freude an wissenschaftlichen Veröffentlichungen - die (Hör-) Bücher, die mich in letzter Zeit überzeugt, beschäftigt, aufgewühlt und berührt haben, möchte ich euch heute vorstellen. Vorhang auf für:



Das Gehirn hat kein Geschlecht war für mich ein aufschlussreiches und hilfreiches Buch; angenehm und verständlich geschrieben. Die Neurowissenschaftlerin Daphna Joel und Wissenschaftsautorin Luba Vikhanski erklären das Konzept vom Gehirn als Mosaik - dass es zwar durchaus (statistische) Unterschiede bei den Gehirneigenschaften, nicht aber "männliche" und "weibliche" Gehirne und schon gar keine biologischen Determinismen á la "Männer sind halt so und Frauen so" gibt. Es geht neben Hirnaufbau und -scans auch viel um Verhalten und Wechselwirkungen zwischen Umwelt und charakterlichen Eigenschaften; dass Hirnstrukturen eben nicht alleinige Erklärung für unser Wesen sind.

Sprache und Sein berührte mich schon auf den ersten Seiten; solch schöne, treffende Worte findet die Autorin. Eine Liebeserklärung an Sprachvielfalt und zugleich das Hadern mit der Vielsprachigkeit, der Nicht-Übersetzbarkeit von Empfindungen - ich fühlte mich verstanden und fand zugleich zu neuen Erkenntnissen; "ach stimmt"-Momenten. Für mich hat das Buch einen gefühlvolleren und einen politischen Teil (wobei auch der emotional ansprechend ist; nur eher wütend denn zart); beide konnten mich auf ganz unterschiedlichen Ebenen überzeugen. Ein sehr persönlicher Beitrag zur Macht der Sprache, zu den großen politischen Fragen und dazu, wer eigentlich gehört, gesehen und wahrgenommen wird - und wer nicht. Sehr lesenswert.

Ein simpler Eingriff hinterließ mich mit zwiegespaltenen Gefühlen - einerseits war ich soeben Teil einer ergreifender, eindrücklichen Geschichte geworden, zugleich bedauerte ich, so wenig Konkretes erfahren zu haben. Wann, wie, wo, warum diese "Eingriffe" geschehen, die Familiengeschichten der drei Frauen, die Gesellschaftsstruktur im Allgemeinen... so viele Fragen. Als hätte ich eine Leseprobe, ein Fragment gelesen und nun bereit für die eigentliche Erzählung. Nachdem ich über die Geschichte von Rosemary Kennedy gestolpert bin, habe ich etwas mehr Kopfkino und Vorstellungen, hätte die jedoch lieber in Wort gegossen von der Autorin zu lesen bekommen. 

Die kranke Frau war ein schockierendes, ein faszinierendes und ein erschütterndes Buch. Es ist thematisch sehr breit gefächert und zugleich historisch, medizinisch und politisch-aktuell. Wie ein roter Faden ziehen sich (männliche) Ignoranz, Unverständnis gegenüber und Angst vor Weiblichkeit durch die Geschichte von Menschen mit Uterus und ihrer (fehlenden) Gesundheit. Ich habe viel gelernt, sowohl über Medizingeschichte, als auch feministische Kämpfe, sowie Körper und Krankheit. Es ist erschreckend, wie viel Nicht-Wissen seit der Antike besteht; wie viel Nicht-Wissen-Wollen - wie (bis heute) Schmerzen und Beschwerden von Menschen mit Uterus belächelt, nicht ernst genommen oder wenig erforscht werden. Gender Data Gap in der Wissenschaft und patriarchale Unterdrückung sind nicht überraschend oder bahnbrechend neue Erkenntnisse - der spezifische Ausdruck über die Jahrtausende, die konkreten Beispiele und teilweise schon unglaublichen Annahmen und Handlungen sind dann aber doch frappierend und eindrücklich. Dieses Buch ist weder leicht noch erleuchtend, sondern bescherte mir viele "kleine" neue Erkenntnisse und Fundament für Ungerechtigkeitsempfinden und Argumentationen. Kann ich nur empfehlen.

Es kann nur eine geben hatte ich seit Erscheinen auf meiner Liebäugel-Liste; jetzt als Hörbuch bei Spotify endlich kennenlernen dürfen. Ich mag Carolin Kebekus aus der Bühne - und auch in (Hör)Buchformat gefiel sie mir! Ein feministischer Rundumschlag; nicht viel Neues für mich dabei, da ich mich ja bereits viel mit den Thematiken beschäftige, doch wie sie selbst sagt: Es kann gar nicht genug (humorvolle) feministische Bücher geben! Und das ist es definitiv; witzig und unterhaltsam, zugleich aber auch empörend und oft habe ich mich selbst dabei erwischt, nickend (oder sogar sprechend; gar nicht creepy!) zuzustimmen. Daumen hoch!


Bücher über soziale Ungerechtigkeiten lassen mich nie kalt. Feministische Texte sind stets aufwühlend für mich. Sie machen mich wütend und lassen mich Ohnmacht fühlen, sie lassen mich weinen und fühlen sich empowernd an. So auch diese Unlearn Patriarchy, dessen 15 Artikel in Umsetzung und konkreter Thematik recht verschieden und zugleich vereint in ihrem Versuch, dem Patriarchat etwas entgegen zu setzen, sind. Ich liebe es, dass die Texte nicht den akademischen Standards von vermeintlicher Neutralität, Objektivität und Sachlichkeit folgen, sondern Position beziehen, aus einer Ich-Perspektive argumentieren, emotional und persönlich sind und keine Allgemeingültigkeit beanspruchen. Gerade die Kapitel zu Liebe, Politik und Macht konnten mich berühren und brachten etwas in mir zum Klingen, da sie Aspekte behandeln, mit denen ich mich momentan (auch) beschäftige - aus allen Kapiteln habe ich jedoch etwas mitnehmen können; einen Denkanstoß, eine Bestätigung, einen warmen Gedanken oder eine treffende Formulierung. Unbedingt lesen!

Ich empfand es ausgesprochen interessant und bereichernd, mit Alle_Zeit: Eine Frage von Macht und Freiheit Erwerbsarbeit und (unbezahlte) Care-Arbeit, patriarchale Ausbeutung, Verteilungsungerechtigkeit, Nachhaltigkeit und politische Partizipation aus einer anderen Perspektive, mit einem veränderten Blickwinkel zu betrachten - dadurch entstehen nicht nur ganz neue Erkenntnisse und Fragen, sondern auch ein verändertes Verständnis dafür, was uns von einer besseren, gerechteren, inklusiven und sozialen Gesellschaft trennt. Und das Zeit unfassbar politisch ist. Ich nehme für mich den Begriff "Zeitkonfetti", die Erkenntnis, dass "Freizeit" nicht unbedingt freie Zeit bedeutet, sondern ein (bewusst?) unglücklich gewählter Begriff für die Zeit außerhalb von Erwerbsarbeit ist und den Wunsch, die aktuelle Zeitkultur (radikal) zu verändern, mit. Spannend fand ich auch den Gedanken eines Mindestmonatslohns statt Mindeststundenlohns, um reduzierte Arbeitszeiten finanziell realisierbar zu machen. Das Buch bietet viel food for though und reizvolle Gedankenanstöße; ich hätte es mir jedoch auch kürzer, vielleicht sogar in Essayform vorstellen können. Das mag aber auch daran liegen, dass ich mich mit vielen verknüpften Themen bereits beschäftigt habe und einige Ausführungen nicht gebraucht hätte. Alles in allem bilden fundierte Recherche, angenehmer Schreibstil, interessante Blickwinkel, Forderungen und Ideen eine lesenswerte Lektüre, die sich der Zentrierung um und auf Erwerbsarbeit als Kern von Identität und Lebenszeit mutig entgegenstellt.

Habt ihr einen oder mehrere dieser Titel gelesen? Welche Bücher stehen (nun) auf eurer Leseliste? Bei mir sind Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch sowie Die Wolfsfrau darauf gewandert, außerdem stehen noch Die abgetrennte Zunge sowie Frauen Literatur darauf.


 Ähnliche Bücher in meiner Schatztruhe:
{mit einem Klick auf die Cover gelangt ihr zu den Rezensionen}

2 Kommentare:

  1. Hallo liebe Ronja

    "Sprache und Sein" habe ich gelesen und geliebt, "Das Patriarchat der Dinge" hat mich leider nicht ganz so begeistert, wie dich.

    "Ein simpler Eingriff", "Unlearn Patriarchy" und "Das Gerhirn hat kein Geschlecht" möchte ich unbedingt auch noch lesen.

    Und ich empfehle dir noch "Untenrum frei" von Margarete Stokowksi.

    Alles Liebe an dich
    Livia

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    1. Ahoi liebe Livia,

      Sprache & Sein ist auch einfach wirklich schön ♥ Sprachlich wie inhaltlich. Über das Patriarchat der Dinge hatten wir uns ja schon unterhalten - schade, dass es dir nicht so gefallen hat ^^

      Gerade Unlearn Patriarchy & kranke Frau kann ich dir wirklich nur ans Herz legen ^^

      Ah, danke für deinen Buchtipp; davon hat mir ne Freundin neulich auch erzählt - ich merk´s mir :)

      Liebe Grüße von der Küste
      Ronja

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