Das Patriarchat der Dinge || Rebekka Endler || Dumont || Sachbuch || HC || 336 Seiten || 1/1
Unsere Umwelt wurde von Männern für Männer gestaltet. In Das Patriarchat der Dinge öffnet Rebekka Endler uns die Augen für das am Mann ausgerichtete Design, das uns überall umgibt. Und sie zeigt, welche mitunter lebensgefährlichen Folgen es für Frauen hat. Unsere westliche Medizin ist beispielsweise – mit Ausnahme der Gynäkologie – auf den Mann geeicht: von Diagnoseverfahren und medizinischen Geräten bis hin zur Dosierung von Medikamenten. Aber auch die Dummys für Crashtests haben den männlichen Körper zum Vorbild – und damit das ganze Auto samt Airbags und Sicherheitsgurten. Der öffentliche Raum ist ebenso für Männer gemacht: Architektur, Infrastruktur und Transport, sogar die Anzahl öffentlicher Toiletten oder die Einstellung der Temperatur in Gebäuden. Wer überlebt einen Herzinfarkt? Wer friert am Arbeitsplatz und für wen ist er gestaltet? Für wen sind technische Geräte leicht zu bedienen? Für wen ist das Internet? Das Patriarchat ist Urheber und Designer unserer Umwelt. Wenn wir uns das bewusst machen, erscheinen diese Fragen plötzlich in einem neuen Licht.
Mittlerweile liege ich gefühlt meinem halben Freundeskreis mit diesem Buch auf den Ohren, so begeistert, empört und wütend machte es mich! Bei Sachbüchern bin ich dazu übergegangen, mir Randnotizen zu machen - in diesem Buch bestanden sie größtenteils aus "bitte was??!" und "JA!".
Gender Pay Gap und Gender Health Gap - dass Frauen* schlechter bezahlt werden und in der medizinischen Forschung (fast) ausschließlich mit männlichen Tieren/Probanden geforscht wird - sind mittlerweile vielen geläufig. Dass das Patriarchat der Dinge, wie Rebekka Endler die materielle Welt um uns herum so treffend bezeichnet, noch sooo viel weiter geht, ist schockierender Weise nicht vollkommen überraschend, jedoch empörend untragbar!
»Die Erwartungen,
die wir an Frauen stellen, nämlich einem bestimmten optischen Image entsprechen
zu müssen, sei es als Politikerin, Geschäftsfrau, Aktivistin, sind nichts
anderes als verkrustete, patriarchale Denkmuster, die nur darauf warten,
überwunden zu werden.«
Ich liebe Buch und Autorin dafür, dass eine intersektionale Perspektive eingenommen wird - vorliegende Statistiken und Daten mögen binär codiert sind und/oder sich "nur" mit einer Form der Unterdrückung beschäftigen; struktureller Rassismus, Ableismus, Homophobie, Misogynie & Co gehen jedoch ein unheiliges Wechselspiel ein. So bemüht sich Endler, das Patriarchat nicht nur auf Frauen* bezogen zu denken, sondern u. A. Transmenschen miteinzubeziehen und verschiedenste Lebensrealitäten zu beleuchten.
Trotz - und wegen - der ernsten Thematik und gezeigten Sensibilität ist das Buch in einem lockerflockigen Stil voller bitterböser Ironie und triefendem Sarkasmus, aber eben auch einer gehörigen Portion Empörung geschrieben. I like!
»Das
Patriarchat der Sprache ist, wie wir schimpfen, beleidigen, unterbrechen, aber
auch wie wir zensieren und maßregeln, Zugang zu bestimmten Milieus regulieren
und Status kommunizieren.«
Von Schuhsohlen über Hosentaschen, Pollenallergie, Fahrräder, Toiletten und ins All - ich war schockiert und zugleich wenig überrascht, wo uns das Leben unnötig schwer oder zumindest nicht gleich einfach gemacht wird... Ich habe eine ganze Menge mitgenommen; zu Hosentaschen und BHs bin ich im Nachgang noch über zwei interessante Videos gestolpert, die ich euch nicht vorenthalten will.
Davon abgesehen: Lest das Buch! Viele Aha-Momente, viele "WAS?!"-Gefühle und zugleich hervorragende Unterhaltung, die zu Veränderung aufruft; jedoch nicht mit erhobenem Zeigefinger.
... noch ein paar Worte zu Gestaltung und Titel:
[4/5] Gestalterisch kein Meisterwerk, in den knalligen Farben und klaren Linien jedoch ein Hingucker sowie clevere Umsetzung des Titels; mir gefällt das Cover! Der Titel sowieso.
VIELEN DANK AN DUMONT FÜR DAS REZENSIONSEXEMPLAR
BAMM! Feministisch, intersektional, empörend, amüsant, zugänglich... auf dieses Buch habe ich gewartet! Unbedingt lesen.
aufwühlend ~ informativ ~ schockierend
Mädels, lasst uns über (Hosen-)Taschen reden! Auf einer Skala von ja bis total, wie sehr stressen euch diese Minitäschchen, in die kein Handy, geschweige den Schlüssel reingeht und beim Hinsetzen sogar Einkaufschip und Tampon rausfallen - so sie denn nicht von vornherein zugenäht sind?! Und: Wie sehr wollt ihr den Pürierstab Mega Hurricane Mixer mit austauschbaren Klingen und Aufsätzen?! Ich fühle den ja ausgesprochen xD
Liebe Ronja
AntwortenLöschenDas klingt doch super und vor allem intersektionaler, als "Unsichtbare Frauen" von Caroline Criado-Perez, die ja aufgrund ihrer Auslassung der Sicht auf Transmenschen (ja, sogar ihren transfeindlichen Aussagen) stark kritisiert worden ist. Ich werde mir das Buch auf die Liste setzen und sehr bald hier einziehen lassen. Von wo hast du eigentlich die tolle Tasse?
Danke für die überzeugende Rezension und auch wenn ich schon viele Bücher aus diesem Bereich gelesen habe, so bin ich doch nach wie vor bereit, mehr zu lernen und mich überraschen zu lassen. Und auf den Schreibstil freue ich mich schon ;-)
Alles Liebe an dich
Livia
Ahoi Livia,
LöschenUnsichtbare Frauen hatte ich auch erst lesen wollen und dann die Kritik mitbekommen und es sein lassen; umso mehr hat mich die Sensibilität und Inklusivität hier gefreut!
Und haha, die Tasse war mal bei Buttlers runtergesetzt, ich feier die auch total :D
Falls du dieses Buch in nächster Zeit lesen solltest, bin ich sehr gespannt auf deine Meinung; denke aber, dass es dir auch richtig gefallen wird :)
Ganz liebe Grüße
Ronja