Donnerstag, 12. Juni 2025

{Faktencheck} Twist ~ Colum McCann

Twist || Colum McCann || übersetzt aus dem irischen Englischen von Thomas Überhoff || 
rowohlt || Roman || eBook || 416 Seiten || 1/1

2019 geht der Journalist Fennell in Kapstadt an Bord der Georges Lecointe, eines Reparaturschiffs für Kabelbrüche in der Tiefsee. Er soll eine Reportage schreiben, über Kommunikation und ihre Störungen. Im Fokus: die Tiefseekabel, die die globalen Datenflüsse leiten, ständig gefährdet durch Naturereignisse, Krieg und Terrorismus. Der Missionschef Conway scheint nicht glücklich über den Gast, der sich für alles zu interessieren scheint  – vielleicht auch für Conways Frau Zanele? Es sieht auch erst nicht danach aus, als sei so bald ein Einsatz fällig – bis eines Morgens in der Stadt Chaos ausbricht: Internet tot, Telefone stumm, kein Geld am Automaten. Eine Havarie mitten im Atlantik, in großer Tiefe, ganz Afrika ist betroffen. Das Schiff lichtet den Anker. Nach Wochen auf hoher See dann eine erschreckende Nachricht: Auf Zanele wurde ein Anschlag verübt. Als Fennell zu neugierig wird, eskaliert der Konflikt. Allein mit der Crew auf dem Kabelleger umkreisen sich die beiden Männer …


Ich habe auf Instagram Sarahs begeisterte Besprechung dieses Buches gelesen und wusste: Das muss ich auch lesen!


Denn auch wenn ich mich bisher wenig mit Unterwasserkabeln beschäftigt habe, interessiert mich ja prinzipiell alles Maritime, mit den gegenwärtigen Sabotagen ist das Thema aktuell und Arbeitsschiffe wie Kabelleger finde ich sowieso faszinierend.

Gleich vorweg: Was die Seefahrtsaspekte angeht, enttäuschte bin Colum McCaan - nicht nur empfand ich die Szenen auf See als die zähesten; es schlichen sich auch einige Fehler ein, aber dazu später.

»Noch immer staunte ich darüber, dass nahezu unsere gesamten Informationen durch winzige Kabel auf dem Meeresboden liefen. Milliarden Impulse, die Wörter, Bilder, Stimmen, Texte, Diagramme und Formeln transportierten, schossen in einem Lichtstrahl über den Grund. In Kabeln aus Glas. In aus Sand hergestelltem Glas. In durch die Zeit gerieseltem Sand. Das warf mein ganzes Weltbild über den Haufen. Ungefähr alles, was man sich vorstellen kann, pulsiert da in der Tiefe. Mit unvorstellbarer Geschwindigkeit. In einem verstärkten Kabel, nicht dicker als ein Gartenschlauch. Gerade ist man noch hier. Und dann, eine Nanosekunde später, ist man anderswo. Ich dachte darüber nach, ob sich darin nicht etwas Monumentales verbarg. Ein vage mythisches Element. Die Geschwindigkeit, die uns ausmacht. Sämtliche Grundlagen unserer Existenz wirbelten durch die Kabel: die schwache Wechselwirkung, die starke Wechselwirkung, die Weltformel. Und natürlich auch jeder Schwachsinn, und alles rauschte gleichzeitig über den Meeresboden.«


Zunächst einmal wurde ich von der ersten Seite an in den Bann gezogen; der irische Autor hat einen unglaublich ausdrucksstarken und vielseitigen Schreibstil - mal staccatoartig in kurzen, knappen Sätzen, die Dramatik und Atemlosigkeit vermitteln, mal in ausschweifenden Absätzen voller Doppeldeutigkeiten und Tiefe. Denn im Kern ist die Handlung wenig komplex, wird von nur einer Handvoll Figuren getragen und ist deutlich unaufgeregter, als Klappentext und Erzählstil das vermuten lassen - McCann lässt das Kabellegen aber zu einer gesellschaftlichen Analyse und tiefem Blick in die Psyche von Menschen werden. Viele wichtige Themen, von Kolonialismus und bleibendem Rassismus über Umweltzerstörung und Digitalisierung, spricht er dabei an.

Wenige handlungstragende Charaktere also, die jedoch charakterlich vielschichtig waren; gerade der Protagonist lädt nicht unbedingt dazu ein, ihn zu mögen und auch der mysteriöse Conway ist nicht gerade der strahlende Held. Überhaupt: Das ganze Buch ist ausgesprochen maskulin; von den Figuren über den Stil bis hin zu den filmischen Referenzen. Und unnahbar. Ich habe niemanden ins Herz geschlossen, konnte mich mit den Figuren nicht identifizieren und wollte aber dennoch wissen, was Fennell, Conway und Zanele verbergen.

»Vielleicht hatten nur Frauen ein Auge für solche Sachen. Die wahren Geschichten unserer Zeit. Wie das Land ausgeraubt wird. Die Rodungen. Die Hinterlassenschaften. Die Vergiftung.« 


Gerade die Szenen auf See und im ghanaischen Ferienhaus erzählt McCann überaus dramatisch - dabei passiert wenig und am Ende des Buches schlich sich bei mir Enttäuschung darüber ein, keinen großen Knall erlebt zu haben. Also irgendwie ja schon, ohne hier spoilern zu wollen, aber mir fehlte trotzdem etwas; dass die Handlungsfäden stärker verwebt werden. Dieses Gefühl von "hmm, und warum hab ich das jetzt gelesen, was will mir der Autor damit sagen". Don´t get me wrong; das Lesen hat mir große Freude bereitet, da die große Stärke des Buches definitiv der Schreibstil ist, der in seiner Intensität fesselt und atemlos durch das Buch peitscht und auch in seiner Nachdenklichkeit glänzt das Buch - seine Schwäche sind jedoch Handlung und Figuren. Vor allem ein Nachwort zu Recherche, Wahrheitsgehalt und überhaupt Einordnung seitens des Autors habe ich mir gewünscht, um das Buch abzurunden.


Thematik und Setting wie gesagt ausgesprochen interessant; was den Seeteil angeht jedoch, wie zu Beginn angesprochen, leider fehlerhafte/fehlende Recherche. Das kann ich natürlich nicht so stehen lassen 😄

Der Sturm dreht auf über dreißig Knoten auf. (Pst. 1091)

Im Hafen hielt uns der Sturm, einer der Kategorie 4, mit kräftig auflandigen Winden. (Pst. 1138)

Seegangsstärke sechs ist ein richtiger Aufruhr. Ein dreistöckiges Gebäude, das auf einen zuschießt. (Pst. 1701) 

Okay, also wenige Internetsuchanfragen (oder die Lektüre von Die Sprache des Windes!) hätten schon folgende Erkenntnis gebracht: Es gibt eine Windskala vom irischen Hydrografen Sir Francis Beaufort und eine Seegangsskala nach dem deutschen Kapitän Peter Petersen. Die Beaufortskala kennt die Stufen 0 bis 12; ab 9 Beaufort wird von Sturm gesprochen, das sind 41-47 Knoten (75-88 km/h). Dreißig Knoten sind nicht nichts, aber lediglich ein "steifer Wind", Beaufort 7. Definitiv kein Sturm! Und: Es gibt keine "Sturmkategorien": Auf der Beaufortskala folgen auf den Sturm noch der schwere Sturm, der orkanartige Sturm und der Orkan. Hurrikane können mittels der Saffir-Simpson-Hurrikanskala klassifiziert werden; hier folgen auf tropische Depression und tropischen Sturm die Hurrikane der Klasse 1-5. Ein Hurrikan der Kategorie 4 wäre mit 209-251 km/h in der Tat sehr stark, aber das passiert so im Buch ja nicht. Beim Seegang können die Stufen 0-9 unterschieden werden; mit einem Wind von 30 Knoten (Beaufort 7) korreliert tatsächliche eine grobe See, Seegangsstärke 6: "See türmt sich, weißer Schaum beginnt sich in Windrichtung zu legen", so die offizielle Beschreibung. Auf dem Atlantik können das 3,5 bis 6m sein; auch wieder nicht nichts, aber sicher kein dreigeschössiges Gebäude! Passt also einfach alles nicht zusammen beziehungsweise die gewollte Dramatik entspricht keinen Tatsachen.


Inzwischen waren wir über der Kongorinne, flogen mit der Strömung dahin. Neunzig nautische Meilen. Beinahe ein ganzer Tag. (Pst. 2016)

Simple Mathematik hilft hier weiter: 90 Meilen in 24h bedeutet eine Durchschnittgeschwindigkeit von 3,75 Knoten. Definitiv kein "Fliegen"! Eher Kriechen - falls die gerade den Boden absuchen, könnte es tatsächlich sein, dass die Georges Lecointe so langsam fahren muss; ansonsten ebenfalls eine fehlerhafte Darstellung. 


... noch ein paar Worte zu Gestaltung und Titel:
[4/5] Das Cover finde ich optisch ansprechend - nicht laut und viel zu sehen, aber farblich schön. Das Kabel sieht jedoch eher aus wie ein Wolkenkratzer... Der Titel ist definitiv stark gewählt und ich bin froh, dass der originale beibehalten wurde.



VIELEN DANK AN NETGALLEY FÜR DAS REZENSIONSEXEMPLAR

Ein zum Nachdenken  anregendes Buch, das viele Themen anreißt und mir als unkonventionell in Erinnerung bleiben wird; ein besonderes Leseerlebnis trotz Längen und Fehler.

ausdrucksstark ~ fesselnd ~ intensiv

Wusstet ihr, dass es Unterseekabel seit Mitte des 19. Jahrhunderts gibt und dass sie für unsere Internetkommunikation so viel wichtiger als Satelliten sind? Habt ihr auch schon Bücher gelesen, die euch stilistisch bedeutend besser gefielen als inhaltlich?


 Ähnliche Bücher in meiner Schatztruhe:
{mit einem Klick auf die Cover gelangt ihr zu den Rezensionen}

1 Kommentar:

  1. Schönen guten Morgen!

    Ich hatte jetzt gar nicht mit 4 Sternen gerechnet nach dem Lesen deiner Meinung *lach* Es gab ja doch einiges, was dir nicht so gefiel, aber es ist schon interessant, wie sehr der Schreibstil hier deine Meinung positiv beeinflusst hat!
    Ich finde, dass das schon viel ausmacht. Zumindest bei mir. Ich weiß jetzt kein Beispiel dafür, aber wenn der Schreibstil mir irgendwie positive auffällt, auf welche Art auch immer, dann schaue ich gerne auch mal über anderes hinweg - einfach weil es so besonders geschrieben ist, dass ich weiterlesen möchte.

    Dass hier die "Fakten" mal wieder nicht gut recherchiert sind ist natürlich ärgerlich. Grade bei solchen Themen erwarte ich eigentlich schon, dass der Autor hier an geeigneter Stelle nachfrägt...

    Liebste Grüße, Aleshanee

    AntwortenLöschen

Lass´ mir doch einen Kommentar da! Ich würde mich über deinen Landgang sehr freuen :)