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Freitag, 29. November 2024

{Rezension} Leuchten am Meeresgrund: Aus dem Logbuch der ersten Tiefsee-Expedition ~ Brad Fox

Leuchten am Meeresgrund: Aus dem Logbuch der ersten Tiefsee-Expedition || Brad Fox || übersetzt aus dem Englischen von Susanne Schmidt-Wussow || wbg Theiss Verlag || Sachbuch || HC || 368 Seiten || 1/1

Sommer 1934. Die Meeresbiologin Gloria Hollister sitzt an Bord eines Schiffes in der Nähe der Atlantikinsel Nonsuch, mit einer Hand presst sie einen Hörer ans Ohr, mit der anderen schreibt sie fieberhaft in ein Notizbuch. Die Telefonleitung reicht über 900 m tief ins Meer hinab. Dort unten baumelt an einem Stahlseil eine Tauchkugel, in der William Beebe zusammengekauert sitzt. Durch winzige Bullaugen blickt er in die fremde Unterwasserwelt. Aufgeregt beschreibt er fantastische Kreaturen und wundersame Licht- und Farbeffekte.

Brad Fox verknüpft Wissenschaftsgeschichte mit dem Bericht der ersten Tiefsee-Expedition und der ganz persönlichen Geschichte ihrer Teilnehmer. Er stützt sich dabei auf die Logbücher der Expedition – und lässt uns so teilhaben an der Begegnung mit dem Unbekannten. 


Oh, ich wollte dieses Buch lieben! Tiefseeforschungen, illustriert, das Buch beginnt mit einer faszinierenden Frau...


Doch meine Vorfreude und Begeisterung endeten genau dort: Am Anfang und bei den Abbildungen. Hauptsächlich lag das am Schreibstil - sicherlich wortgewandt und fast schon poetisch, für mich aber vor allem anstrengend. Wenn ihr seitlich auf mein Exemplar schaut und die vielen Post-Its seht, könntet ihr denken, dass ich viele schöne Stellen markieren wollte. Wenn ich sie ansehe, fühle ich mich in die Zeiten meines Politikstudiums zurückversetzt - nach einiger Zeit konnte ich in Texten fast schon ohne größeres Nachdenken die "wichtigen", "bedeutsamen" und "tiefsinnigen" Stellen und Abschnitte markieren. Nicht selten, ohne zu verstehen, was in komplexer Sprache da eigentlich ausgedrückt wird. Genau so ist es mir bei diesem Buch ergangen - da waren Sätze, die gebildet und wissend klangen, mich aber, wenn ich ehrlich bin, weder berührten noch mir verständlich waren.

»Vielleicht konnte die Unzulänglichkeit der Worte auch ihre Stärke sein. Farbe und Geräusch, Muster und Ausführung, schwarze Zeichen auf weißem Papier zeigen ein Woanders an, das auch hier ist, weil es am Grund der Dinge ist, nicht nur am Beginn der Dinge, sondern auch in ihrem Fortbestehen, dem Fluss und Schicksal von Phänomenen. Zu versuchen, etwas über diese Lichtblitze zu sagen, diese Tiefsee-Drachenfische, von denen wir nicht wissen, ob wir sie geträumt haben, bedeutet, der Welt Leben einzuhauchen. Schwarz, schwarz, schwarz wird zu einem Zauberspruch, rhythmisch gesprochen, der die Toten erwecken will, indem er Bedeutung in dem findet, was wir durchleben. Genau an der Kreuzung zwischen dem, was war, und dem, was nicht war.« 


Mit dem Schreibstil verbunden ist auch die Erzählweise bzw. der fehlende rote Faden. Dieses Buch ist keine reine Berichterstattung über die Tiefsee-Expeditionen, die Bathysphäre oder die beteiligten Menschen, sondern eine lose Kompilation von... vielem. Von Goethes Farblehre über Abenteuerromane, Wissenschaft im 20. Jahrhundert und zu allen möglichen Zeitpunkten zuvor, Dystopien und Piraterie, Sozialismus und Theater greift Brad Fox so viele Themen, Lebensläufe und Ereignisse auf, dass mir der Kopf schwirrte. Ich habe nebenher viel recherchieren müssen, weil die kurzen Kapitel Themen lediglich anrissen oder kryptisch in den Raum warfen, und hatte große Schwierigkeiten, dem Buch überhaupt zu folgen, weil es keine Konsistenz gab. Örtlich und zeitlich springt Brad Fox hin und her, kommt zu bereits vergessenen Figuren zurück und immer wieder die stakkatoartigen Tiefseeartenbeschreibungen. Kurzum, es kam bei mir einfach keine Lesefreude auf und recht unmutig griff ich immer wieder zu dem Buch, um es endlich zu beenden. Hilfreich waren auf jeden Fall die kurzen Kapitel; so konnte ich immer wieder Pausen einlegen.

»Die Dunkelheit Tiefe schien die Leuchtkraft zu verstärken, doch Beebe hatte kein Maß für die Zunahme von Transparenz. Zwischen Abwesenheit und Entfernung, dem Spiel von Rauch und Samt, war die der Tiefe eine Art innere Uhr, die alles, was er bis dato als Wissen verbucht hatte, aussetzte. Orange und Rot waren lebendig und wunderbar, doch nichts konnte je so durchdringend, so schockierend, so überwältigend sein wie das leuchtende Blau der Tiefe. Angesichts dessen - der Abwesenheit von Farbe, die Violett sein könnte oder auch Blau konnte er nur versuchen mitzuteilen, was er gesehen hatte.«


Ich weiß gar nicht, was ich da auf knapp 300 Seiten alles gelesen habe - ich gebe zu, dass ich auch einiges dazulernen bzw. interessante Einblicke in alle möglichen Themen und Zeiten bekam, ein paar Recherche- und Buchempfehlungen* mitgenommen habe und definitiv beeindruckt von der umfangreichen (Nach-)Forschung des Autors bin; er hat sich tief in eine Unzahl von Quellen vertieft und sauber und nachvollziehbar mit ihnen gearbeitet. Die Art der Zusammenstellung konnte mich jedoch einfach nicht begeistern. 

»Tiere mit Hunderten Geschlechtern, die ihr Geschlecht wechseln, wie Mondfische und Eiben, aus reiner Freude am Dasein. Farbe, die Farbe frisst, und Formen, die sich jeder Kategorisierung entziehen, die Systeme vernichten und Vernunft zerrütten, bis wir uns in absoluter Dunkelheit suhlen und aalen, jenseits der Reichweite allen Denkens.« 


Pluspunkte gibt es aber für die vielen Illustrationen, Zeichnungen, Fotos und Skizzen im gesamten Buch sowie den Fotopapierseiten, auf denen 31 Abbildungen großformatig und in Farbe hervorragend zur Geltung kommen. Und auch wenn Charles William Beebe die Hauptfigur des Buches zu sein scheint (ein lediglich fader roter Faden), gibt Brad Fox Frauen viel Raum; auch den weniger bekannten, missachteten, verdrängten und vergessenen. Diese Kapitel waren meine liebsten und ich bin froh, von Gloria Hollister, Dr. Barry, Marie Tharp, Else Bostelmann, Helen Damrosch Tee-Van und einigen mehr erfahren zu haben!


*Wenn es euch interessiert: Ich spucke in den Wind von Joan Lowell, Riders of the Wind von Elswyth Thane und Looking Backward 2000–1887 von Edward Bellamy.


... noch ein paar Worte zu Gestaltung und Titel:
[5/5] Die Gestaltung wie gesagt erste Sahne; das Buch spricht optisch an, liegt angenehm in der Hand und bereitet zumindest beim Blättern Freude. Der Titel verspricht jedoch ein Buch, das thematisch nicht zwischen den Buchdeckeln zu finden ist.


VIELEN DANK AN VORABLESEN FÜR DAS REZENSIONSEXEMPLAR

Nicht das Buch, das ich gerne gelesen hätte - zu wenig Tiefsee, zu viel thematische Exkurse; zu wenig roter Faden, zu viel aufgebauschte Sprache. Hervorragend recherchiert und illustriert, enttäuschend zusammen- und vorgetragen.

anstrengend ~ zusammenhangslos ~ enttäuschend

Würdet ihr in die Tiefsee tauchen, wenn ihr die Möglichkeit dazu hättet? Und welches Buch hat euch zuletzt enttäuscht bzw. einfach nicht euren Erwartungen entsprochen?


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