
Als die Motoren zum Stillstand kommen, verlieren sie das mühsam gefundene Gleichgewicht, werden in ihrem Lernprozess zurückgeworfen, sind wieder blutige Anfänger, stoßen sich überall, kotzen sich die Seele aus dem Leib und sind dabei doch fast euphorisch. (S. 18)
Dann stellten sie das Radar ab. Von hier würde nicht einmal ein Vogel die Kunde ihrer Anwesenheit überbringen können. (S. 20)
Wir müssen ganz dringend über das Radar sprechen, denn dafür hat die Autorin ein ganz wildes Faible. Nach dem Motto "Ich hab zwar keine Ahnung von Seefahrt, sag jetzt aber einfach ganz oft Radar!". Radar ist ein Akronym und steht für radio detection and ranging; dahinter verbirgt sich auch schon das Funktionsprinzip: Signalaussendung und Laufzeitmessung. Wie ein Echolot. Wie Delfine und Fledermäuse. Wenn ich also jetzt mein Radargerät ausschalte, unterbinde ich nur das Aussenden von Signalen; ich sehe also nicht mehr (auf dem Bildschirm), was um mich herum ist. Alle anderen Schiffe und Radargeräte können mich immer noch sehen! Das Schiff verschwindet nicht! Wenn, hätten sie ihr AIS ausschalten müssen; das ist ein Funksystem, das Daten aussendet. Unabhängig davon, wie wahrscheinlich und realistisch der Badestop als solches ist - literally das letzte, das die Kapitänin in so einem Fall tun würde, ist: die Radargeräte ausschalten. Weil btw, ein so großes Schiff ist verpflichtet, zwei zu haben, aber das führt jetzt hier vermutlich zu weit.
Sie steht auf der Brücke und hält nach einem Schiff Ausschau, das sich über den unbeweglichen Frachter wundern könnte. Sie weiß, dass der Alarm schnell ausgelöst wird, dass eine Minute zu lang ohne Radar oder eine ausbleibende Antwort ausreichen könnte, um in irgendeinem Bürogebäude eine Befehlsabfolge in Gang zu setzen und bei einem Landbewohner den Adrenalinspiegel in die Höhe zu treiben. Sie bräuchten nur von einem Flugzeug gesichtet werden. Dann würde die Sirene ertönen, die die Menschen wieder zur Ordnung ruft, und die in Alarmbereitschaft versetzten Hubschrauber würden von der nächstgelegenen Küste abheben. Mit Motorkraft ist keine Entfernung weit. Mit oder ohne Wind dauert es nur wenige Stunden, bis kundige Hände zur Stelle sind, um die Abweichung zu korrigieren. Sie weiß, dass ein völliges Verschwinden unmöglich ist, weiß um die Illusion, der sie sich hingeben, wenn sie die Radare während des Schwimmens im Meer abschalten. (S. 41)
Bitte was?! Diese unsinnige Behauptung, "das Radar" auszuschalten, würde ein Schiff unsichtbar machen, habe ich ja schon entkräftet. Aber was soll denn der Rest? Seit der Costa Concordia werden Kreuzfahrtschiffe tatsächlich von einem Fleet Operation Center an Land aus überwacht; Frachter bisher aber eigentlich nicht. Und wenn, hätten sie keinen Stopp machen können. Besorgt aus dem Fenster gucken hilft ja dann nicht. Und ganz ehrlich, kein anderes Schiff, dass nen Schiff sieht, das gerade nicht fährt, kontaktiert erstmal irgendwelche Rettungsstellen. Maximal würde gefunkt werden, ob Hilfe benötigt wird. Aber eigentlich wird einfach weitergefahren. Muss ja kein Notfall sein; könnte auch Wartung im Maschinenraum, Bootsdrill oder eben der besagte Badestop sein. Ganz ehrlich, Seefahrt ist meist doch recht egoistisch und stoisch. Es gibt nen Fahrplan und solange einem nix direkt vor den Bug fährt oder man explizit zu irgendwas aufgefordert wird, jucken einen andere Schiffe wenig. Ich sag nur Seenotrettung im Mittelmeer... Und tatsächlich haben Hubschrauber nicht so eine große Reichweite; mitten auf dem Atlantik erreicht dich da erstmal gar nix.
Um sie besser zu verstehen, könnte sie in ihr Büro gehen und die Unterlagen eines jeden durchblättern. Sie könnte die Krankenakten durchblättern, die Verschlusssachen über Fehltritte. (S. 45)
Für die Allmacht bzw. Allwissenheit der Kapitänin hat die Autorin auch ein ganz merkwürdiges Faible. Aber nein. Sie hat weder Krankenakten noch andere "Verschlusssachen". Datenschutz und so.
"Na, ihr Leichtmatrosen, alles klar, hattet ihr eine schöne Taufe?" Aber niemand antwortet. Stimmt, denkt derjenige, der gewagt hat, sie anzusprechen, die meisten Neuen sprechen ja gar kein Französisch. "Good bath", setzt er an, "big, big swimming-pool..." (S. 61)
Sprachbarrieren sind zwar alltäglich, aber es gibt eine Bordsprache, derer alle mächtig sein müssen. Sollte auf diesem Schiff also Bordsprache Französisch sein, müssten sich die Matrosen in der Sprache unterhalten können; wäre sie Englisch, ergibt die Szene noch weniger Sinn. Und: Egal wie groß ein Schiff, die Besatzung ist dennoch begrenzt; alle kennen sich. In den ersten Tagen vielleicht noch nicht namentlich, aber zumindest vage, ob Maschine oder Deck, ob Matrose oder Offizier.
"Also, ich dachte, dass Rettungsboote so gemacht sind, dass sie, wenn sie einmal im Meer sind, auch dortbleiben, man soll ja schließlich nicht wieder rauf, wenn der Frachter in Flammen steht oder gerade untergeht." (S. 62)
Es werden monatlich Übungen zum Verlassen des Schiffs durchgeführt, alle an Bord wissen, wie die Rettungsboote auszusetzen sind - und wie sie wieder eingeholt werden. Denn spätestens alle drei Monate wird damit auch gefahren. Die ganzen Szenen rund um das Rettungsboot sind sowieso von mangelnder Recherche und Konsequenz gekennzeichnet: Beim Aussetzen ist von Leitern und Tauen die Rede (was für Taue?! das sind Stahlseile und Winden!!), als die Crew wieder zurück beim Schiff ist, hoffen sie, dass die Kapitänin ihnen eine Leiter runterlässt. Hatten Sie die nicht selbst ausgebracht?! Und auch wenn das Rettungsboot in der Theorie natürlich voll besetzt und hoch- und runtergelassen werden kann, würden in der Praxis maximal drei im Boot sein, die anderen via Leiter von der Lotsenpforte aus ins Boot steigen und genauso auf dem Rückweg über die Lotsenpforte zurück, dann fahren die restlichen drei an die Schiffswand, der Haken wird von der Besatzung runtergefiert und von den Leuten im Boot eingehakt und dann wird das Boot mit den letzten drei Leuten via Winde an Bord gebracht und wieder gelascht.
Eigentlich vergisst sie nie, die Unterlagen derjenigen, die letztlich doch nicht eingeschifft haben, auszusortieren. Sie weiß eigentlich immer, wo sich jeder befindet, überwacht das Gleichgewicht der auf dem Schiff verteilten Charaktere ebenso wie das Gewicht der einzelnen Container, die sie nach einem präzisen Schema hat anordnen lassen, um die Ladung gleichmäßig zu verteilen. (S. 68)
[...] und wie immer den Frachter einige Tage an der Anlegestelle zu vertäuen, bis die Waren ent- und neu aufgeladen wurden [...] Sie muss die immer gleichen Formalitäten erledigen, Nachweise erbringen und die üblichen Unterlagen bereithalten, um in den Zielhafen eingelassen zu werden: die vertraulichen Dokumente über die mitgeführten Waren und deren Gefährlichkeitsgrad, über den sie mit niemandem in der Mannschaft spricht. Sie übermittelt die technischen und wirtschaftlichen Daten, das Woher und Wohin, die der Ladung und die Verträge. (S. 71)
[...] wenn sich im Maschinenraum Männer mit den Schweröldämpfen acht Stunden am Tag das Gesicht versengen. (S. 72)
Der Steuermann hat sich nicht vom Fleck gerührt, scheint ganz vertieft in die konzentrischen Kreise auf dem Bildschirm. [,...] "Was sagen die Radare?" (S. 84)
Da ist es wieder, das Radar. Sogar im Plural; wie sich das bei Nebel gehört. Solche Ringe kann man sich tatsächlich auf den Bildschirm schalten, das macht aber eigentlich niemand; schon gar nicht auf offener See. Und wer ist dieser Steuermann? Das ist eigentlich eine alte Bezeichnung für den ersten Offizier; den gibt es im Buch aber schon. Und wenn die Person gemeint wäre, die steuert, wäre das dann der Rudergänger und der wiederum würde nicht am Radar stehen, sondern, nun ja - am Ruder.
Die Mannschaft macht sich Sorgen. Normalerweise gibt es hier nie Nebel. (S. 85)
Als wäre Nebel ortsgebunden. Als würden Besatzungsmitglieder Buch darüber führen, an welchen Positionen sie Nebel erlebt haben. Und das mit der aktuellen Position vergleichen. Und auch die Beschreibungen des Nebels sind ziemlich übertrieben. Aber okay, nehme ich mal als stilistisches Mittel und der Dramatik wegen hin. Ich wollte es trotzdem angemerkt haben.
"Ich mach jetzt Pause", verkündet der Steuermann, ein paar Minuten nachdem der erste Offizier die Brücke verlassen hat. "Sie haben recht. Das sollte ich auch. Ich habe gar nicht mitbekommen, dass die Ablösung schon da ist." (S. 87)
Das mit dem Steuermann habe ich schon ausgeführt. Aber ich bin komplett verwirrt, was dieses Schiff für eine Besatzung und Wachsystem fährt. Im Normalfall gibt es drei Offizier*innen und die Kapitänin, dazu auf See ein Drei-Wach-System; von 0-4 und 12-16 Uhr geht die zweite Offizierin Wache, von 4-8 und 16-20 die erste und von 8-12 und 20-24 Uhr dann die dritte. Was machen also Kapitänin, erster Offizier und Steuermann gleichzeitig auf Brücke (wer ist dieser Steuermann überhaupt?!) und wo ist die dritte Offizierin, die den ersten abgelöst haben müsste? Außerdem wäre es ziemlich schlechte Seemannschaft, die Ablösung nicht zu bemerken - endet eine Wache doch erst mit einer mündlichen Übergabe. Alles an dieser Situation ist merkwürdig.
Sie hat die Mannschaft in die Offiziersmesse einberufen. (S. 109)
Eines der Dinge, die ich in meiner Containerfahrt am schlimmsten fand, war die Hierarchie. Nicht die Arbeitshierarchie, die ist zwingend notwendig. Sondern diese gottgleiche Stellung "des Alten" und die Hierarchie entlang Nationalitäten. Die Offiziersmesse - offiziell für die Offiziere, in Wahrheit jedoch für die Europäer*innen, die Crewmesse für die Philippinos. Auch die Offiziere unter ihnen. Anderes Essen, andere Bezahlung, weniger Urlaub, längere Bordeinsätze. Und oft rassistische oder zumindest stereotypisierte Vorurteile. Furchtbar. Meetings finden aber btw. in der Crewmesse statt; in die "heiligen Hallen" eingeladen zu werden, ist ja schon als deutsche Auszubildende soooo ein Privileg... Und da liegt auch Teppich, da dürfen die Jungs aus der Maschine und von Deck mit ihren dreckigen Overalls und Schuhen ja gar nicht rein.
Sie zieht sich den gleichen Blaumann an wie ihre Matrosen, setzt die auf und geht zum Heizkessel. [...] "Kapitänin, wir haben vielleicht den Defekt gefunden", brüllt ihr der erste technische Offizier ins Ohr. "Wir müssen es noch überprüfen, aber es scheint die Pumpe zu sein, die Pumpe läuft mit reduzierter Leistung." (S. 121)
Hold my tea. Schutzbrille? Was für Schutzbrille? Setz Kopfhörer auf! Meinetwegen auch nen Helm, wenn du über korrekt sein willst (macht zwar keiner, aber wäre theoretisch vorgeschrieben). Aber was genau willst du mit der Schutzbrille? Und warum geht sie spezifisch zum Heizkessel und nicht lieber zur Hauptmaschine? Aber okay. Auch der Overall; als Kapitänin hätte sie eigentlich zumindest einen eigenen und vermutlich auch einen andersfarbigen. Aber nehme ich meinetwegen auch hin. Aber... die Pumpe?! Seriously?! Die Pumpe? Ich studiere Nautik und nicht Technik und während meiner Ausbildung waren nur zwei Wochen im Maschinenraum vorgesehen, aber selbst ich weiß, dass es mehr als eine Pumpe gibt. Sehr viele Pumpen! Sehr viele relevante Pumpen, ohne die der Antrieb nicht gewährleistet ist und/oder ein Blackout eintreten wird.
Sie macht die mustert die Werkzeuge, die riesigen Schraubenschlüssel und die Zangen, mit denen an den Tanks gewerkelt wird. Sie begreift etwas Grundlegendes, ohne dass man es ihr erklärt hätte, eine Maschine innewohnende Logik, und vergisst sie sofort wieder. (S. 123)
... zum Beispiel, dass an den Tanks eher weniger gewerkelt wird. Warum auch. Das Werkzeug wird eher für die Aggregate; für Maschinen, Pumpen, Separatoren etc. benötigt. Anyhow.
Und während sie so daliegt im Schmieröl, in diesem ein wenig zu großen Blaumann, die Wange am Metall [...] (S. 125)
Abgesehen davon, wie kurios es ist, dass die Kapitänin (mehrfach!) im Maschinenraum auf dem Boden liegt: Warum ist da Öl auf dem Boden? Es wird doch täglich gewischt.
Sie ist auf der Brücke und lässt sich hin und herwiegen. Sie notiert weiterhin alle zwanzig Minuten die Position des Schiffes mit einem kleinen Kreuz auf der durchbohrten Karte. Die Kreuze liegen immer näher beieinander. Das Schiff wird langsamer, kommt für einen Moment zur Ruhe. (S. 131)
Über das Wachsystem habe ich ja schon gesprochen, aber gut, vielleicht übernimmt die Kapitänin gerade jemandes Wache. Das ist gar nicht so selten. Häufiger auf jeden Fall, als Großcontainerschiffe ohne elektronische Karte. Aber okay, auch das. Sie haben halt nur Papierseekarten. Aber sie sind mitten auf dem Ozean, warum sollte sie alle 20 Minuten die Position einzeichnen? Das tut man im Revier, aber nicht auf offener See. Da reicht stündlich; bei großen Maßstäben geht sogar nur vierstündig (oder noch seltener).
Sie könnte ihn glatt dazu bringen, an Land zu bleiben: die medizinische Verantwortung übernehmen, angestrengt in Erinnerung kramen, um Wunden mit den richtigen Erste-Hilfe-Handgriffen zu verarzten dabei frischt er sie doch einmal im Jahr bei einem Pflichtkurs auf, der ihm jedes Mal Magenschmerzen bereitet [...] (S. 147)
Fyi: Wie eigentlich alle Scheine, muss der medical fünfjährlich erneuert werden. In der Fliegerei ist das jährlich. Und die eigene medizinische Untersuchung, die Seediensttauglichkeit, ist zweijährlich. Nix einmal im Jahr. Aber I feel you, die medizinische Verantwortung flößt mir auch Respekt ein. Unterscheidet sich übrigens von Schiff zu Schiff, wer das Hospital leitet - selten der Kapitän, manchmal der erste Offizier und oft auch der zweite oder dritte.
"Darf ich aufstehen?" "Wir sollten mal herausfinden, was es mit deinen Ohnmachtsanfällen auf sich hat, warum man dich seit heute früh dauernd irgendwo auf dem Schiff am Boden findet." "Jetzt übertreibst du aber, oder?" "Ich versuche, die Situation aufzulockern. Aber mal ganz im Ernst. Ich halte mich ans Protokoll, ich habe einen Arzt über Notruf kontaktiert..." (S. 148)
- Die Mannschaft eines Schiffes wird nicht von der Kapitänin zusammengestellt; sie hat Auswirkungen darauf, kann gegebenenfalls für manche ein gutes Wort einlegen, andere ablehnen und im schlimmsten Fall auch erstmal jemanden entlassen (muss dann aber der Reederei Rede und Antwort stehen, also sehr unwahrscheinlich), aber so pick and choose ist das nicht. Es mustern auch nicht alle gleichzeitig an und ab, sondern absichtlich zeitlich versetzt. Zumal die Verträge wie gesagt unterschiedlich lang sind.
- Motoren werden nicht per Knopfdruck ausgestellt, auch wenn das durch fehlende Beschreibungen des Herunterfahrens so wirkt.
- Warum sind alle an Bord überfordert und verängstigt wegen Sturm (oder Nebel)? Dass deshalb so viele Berichte an "die Ämter" und "die Hafenbehörde" geschrieben werden, ist ebenfalls unrealistisch.
- Selbst wenn die Kapitänin bisher nur auf diesem Schiff und Schwesterschiffen gefahren ist - exakt baugleich sind sie nie; aber okay, zur Verdeutlichung, wie gut sie ihr Schiff kennt.
- Die Grundprämisse des Buches, der Badestop, mag ungewöhnlich sein, aber hätte tatsächlich so passieren können. Dieses ganze Szenario danach mit einer überzähligen Person und dass die Kapitänin die Annahme normal findet, eine Person könne stumm und ihr unbekannt sein - nope. Alle die anmustern, kommen in ihr Office. Außerdem bekämen stumme Menschen keine Seediensttauglichkeit - sowie auf Brücke nicht bei Rot-Grün-Schwäche.
- Nur am Rande: Das Buch spielt auf einem Containerschiff. Sad, dass sie auf das Cover einen Tanker gepackt haben...

0 Landgänge
Kommentar veröffentlichen
Lass´ mir doch einen Kommentar da! Ich würde mich über deinen Landgang sehr freuen :)