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Dienstag, 4. März 2025

Der große Riss ~ Buchbesprechung, Wissenswertes zum Panamakanal & meine Erlebnisse

Der große Riss || Christina Henríquez || übersetzt aus dem Amerikanischen von Maximilian Murmann || Hanser Verlag || Roman || HC || 416 Seiten || 1/1

Als um 1900 ein Kanal gebaut wird, der Atlantik und Pazifik verbindet, treffen in Panama die unterschiedlichsten Menschen aufeinander: Arbeiter aus der Karibik, amerikanische Journalisten, aber auch Malaria-Ärzte und Wahrsagerinnen. Viele sehnen sich nach einem neuen Leben. So auch Ada und der Fischerssohn Omar, die sich ineinander verlieben. Doch wie nah beieinander stehen Fortschritt und Ausbeutung? Und welche Rolle spielen Frauen bei dieser Unternehmung? Ein tiefer Riss geht durch die Gesellschaft, die getrennt ist durch Geschlecht, Hautfarbe und Status. Henríquezʼ gefeierter Roman behandelt Fragen, die aktueller denn je sind, und erzählt aus der Perspektive von Frauen von Menschen, die im Getriebe der Geschichte kaum wahrgenommen wurden.


Schon lange habe ich euch einen Post über den Panama-Kanal versprochen; nach der Lektüre dieses Buches ist es nun endlich soweit - doch zunächst ein paar Worte zum Roman.


Dann ach, was für ein Wohlfühlroman! Christina Henríquez gelingt es, die Glanzlosigkeit, ja das Elend sogar, des Panamakanalbaus einzufangen; mit all seinen hässlichen Gesichtern: Rassismus und Ausbeutung, imperialistische Bestrebungen, Vertreibung und Umsiedlung, Armut und sich (zu) rasant verändernde Gesellschaftsstrukturen - und gleichzeitig eine schöne Geschichte zu erzählen. Mehrere Geschichten, denn die Handlungsfäden der verschiedenen Figuren knüpft sie teils engmaschig, teils lose im Laufe des Buches zusammen und zeigt so ein vielschichtiges und mehrperspektivisches Bild vom Kanalbau und seinen Auswirkungen. 

»Natürlich war das Klima anders und die Landschaft auch, doch davon abgesehen fand er eine Art Miniaturausgabe der Vereinigten Staaten vor, als wären sie hergekommen, um ein Theaterstück aufzuführen. Es gab Postämter, Friseursalons, Partys mit Eiscreme und Freitagsbälle. Und Grenzen. Dieselben Grenzen. Hier nannte man sie anders – Gold und Silber, anstatt Weiß und Schwarz –, aber sie funktionierten auf genau dieselbe Weise. Zusammen mit allem anderen war die Haltung seines Landes hierher importiert worden, und er fragte sich manchmal, ob er ihr jemals entkommen würde, und hatte eine böse Ahnung.« 


Ich habe die leisen Töne des Romans geliebt, mit den Figuren mitgefiebert und das Buch zufrieden und leicht wehmütig zugeschlagen - nicht alle Charaktere bekommen ihr glücklichstmögliches Ende, aber der Tenor ist positiv. Ungünstig finde ich lediglich, dass der Klappentext eine Romanze ankündigt, die das Buch so nicht liefert - und auch nicht braucht. Das weckte jedoch bei mir falsche Erwartungen bzw. verwunderte mich während des Lesens. Es ist ein Buch über Liebe - zu Freunden, zu Eltern und Geschwistern, zur Nachbarschaft und zum eigenen Land; nicht aber romantischer Art. 

»Aber sie war nur sie selbst und könnte sich noch so sehr bemühen und wäre doch nicht anders. Es gab Zeiten, in denen sie sich danach sehnte, anders zu sein, aber sie vermutete, dass sich jeder hin und wieder so fühlte. Jedenfalls war Howard mit seinem doofen Lispeln kaum einen Gedanken wert. Er war ein Zittern im Wind. Wenn überhaupt, erinnerte er Millicent daran, was ihre Mutter ihr und Ada mindestens ein Dutzend Mal gesagt hatte: Eine Frau braucht keinen Mann. Millicent könnte am Meer sitzen und ihre eigene Hand halten, dachte sie. Dafür hatte sie ja zwei.«


Getragen wird der Roman zudem größtenteils auf den Schultern starker, mutiger und beeindruckender Frauen, wenngleich auch Omar und sein Vater mein Herz berühren konnten. Und während alle Ereignisse des Romans auf irgendeine Weise mit dem Kanal(bau) verbunden sind und Henríquez ein Gefühl für diese verändernde Zeit vermittelt, stehen doch die Figuren und nicht das historische Ereignis im Mittelpunkt - das Buch lädt zum eigenen Weiterlesen ein, grobe Kenntnisse lassen sich jedoch auch hier schon erlangen. Lest unbedingt das kurze Interview mit der Autorin, in der sie sich zur Rolle der Frauen, dem Kanalbau als imperialistisches Projekt und ihrem eigenen Bezug äußert; sehr lesenswert. Ein historisches Nachwort, eine Einordnung oder zumindest eine Chronologie am Ende des Buches wären wünschenswert gewesen; so bleibt nur die Eigenrecherche. Stay tuned.


... noch ein paar Worte zu Gestaltung und Titel:
[4/5] Auf den ersten Blick nicht spektakulär, ist die Gestaltung doch gelungen und passend; gerade der Einband unter dem Schutzumschlag begeisterte mich nochmal mit der Karte - und auch im Buch ist eine abgedruckt. Der Titel ist nicht so stark und mehrdeutig wie The Great Divide, aber meines Erachtens nach dennoch passend.




Die Geschichte des Panamakanals beginnt nicht erst im 20. Jahrhundert.  Im späten 17. Jahrhundert versuchte bereits Schottland, in Panama eine Kolonie zu errichten - das Darién-Projekt scheiterte jedoch (spektakulär) und hat dennoch Folgen bis in die heutige Zeit; im Prinzip lässt sich die Vereinigung Schottlands und Englands zum Vereinigten Königreich darauf zurückführen. Mehr dazu in Podcastfolge 106 von Geschichten aus der Geschichte. Doch damit sind wir weiterhin nicht im 20. Jahrhundert angelangt - Ende des 19. bemühen sich nämlich zunächst die Franzosen um den Bau des Panamakanals; unter Leitung von Ferdinand de Lesseps, der 1869 erfolgreich den Suezkanal gebaut hatte. Doch: Ein "schönes" Beispiel dafür, dass es keine one-fits-all-solutions gibt; der Kanalbau in Panama unterschied sich eklatant von den Rahmenbedingungen Ägyptens. Auch hier kann ich auf den zuvor erwähnten Podcast verweisen, Folge 196. In Kurzfassung jedoch benötigte der Panamakanal Schleusen, das Klima war deutlich herausfordernder und vor allem Krankheiten (wie Malaria und Gelbfieber) forderten einen hohen Tribut. Dieser erste Versuch eines Kanalbaus kostete tausende Menschen ihr Leben und führte bereits zu eine hohen Migration in der Region.

Hier setzt im Prinzip zeitlich der Roman ein - war Panama nach der Spaltung von der Kolonialmacht Spanien 1821 zunächst noch Teil Großkolumbiens, wurde es 1903 (durch erhebliche Interventionen der USA!) unabhängig. Dieser "Panamakonflikt"  führte unter anderem zu einer von den USA installierten Regierung sowie zu einem Abkommen, das der USA die Hoheitsrechte über einen Streifen von 16 km Breite und 80 km Länge sowie das Recht auf militärische Interventionen sicherte. Ach, wie aktuell Geschichte doch sein kann! Auf den Bau an sich möchte ich nicht näher eingehen; ein Gespür dafür könnt ihr im Roman gewinnen und euch ansonsten belesen - 1914 jedenfalls durchquerte das erste Schiff den gesamten Kanal; ungünstigerweise wurde zur gleichen Zeit der Erste Weltkrieg eskaliert, sodass die Eröffnungsfeierlichkeiten verschoben wurden. Um sechs Jahre! Offiziell für den Schiffsverkehr freigegeben wurde der Panamakanal am 12. Juli 1920.

Die Probleme hörten damit jedoch nicht auf; Streitigkeiten über Souveränität und Pacht, Revisionen der Verträge und schließlich der Ausbau. Seit 2000 wird der Kanal von der Panamakanal-Behörde verwaltet, die autonom ist, jedoch vom panamaischen Präsidenten ernannt wird. Naja, und den cholerischen Mann im Weißen Haus erzürnen die Durchfahrtsgebühren...




So viel also zum Bau und den Hintergründen. Ich hatte das Glück, in meiner Ausbildungszeit durch den Kanal fahren zu dürfen - zunächst westgehend vom Atlantik und auf dem Rückweg aus dem Pazifik ostgehend. Genau genommen bin ich durch den "neuen" Kanal gefahren; im alten gibt es landseitig Loks, die das Schiff quasi durch den Kanal ziehen - im neuen wird das Schiff mit Schlepperhilfe und eigenen Manövriereinrichtungen bewegt. Wie bei allen Häfen und Kanälen gibt es Lots*innen; das Besondere beim Panamakanal ist jedoch, dass die tatsächlich die Verantwortung übernehmen. Überall sonst gilt: Lots*innen beraten nur, die Verantwortung bleibt bei der Kapitänin oder dem Kapitän. Es gibt eine Schiffsklasse, die Panamax heißt - alle Schiffe, die größer gebaut wurden, passen nicht in den Kanal. Passten, genauer gesagt. Denn 2016 wurde der Kanal ausgebaut bzw. ein neuer "dazu" gebaut; jetzt können Schiffe, die bis zu 17.000 TEU transportieren können, den Panamakanal passieren - die Postpanamax-Klasse war geboren. Weitere Ausbauten des Kanals sind immer mal wieder im Gespräch; in Panama jedoch umstritten. In letzter Zeit mussten die Durchfahrten übrigens deutlich reduziert, teilweise sogar halbiert werden - auf Grund von Trockenheit (nicht genug Wasser im Kanal) und starker Unwetter, Stürme und Niederschläge (zu viel Wasser!).

Ich fand die Fahrt durch den Panamakanal aufregend - im Suez war ich zu dem Zeitpunkt schon mehrmals und während die Fahrt dort "nur" geradeaus und vor allem durch Wüstenlandschaften geht, ist die panamaische Landschaft atemberaubend. Vom Atlantik kommend geht es zunächst durch die drei Gatún-Schleusen in den Gatúnsee und wow, wie schön ist bitte Panama! 26m über dem Meeresspiegel ist man nach der Schleusung; über die Pedro-Miguel-Schleuse sowie die zwei Miraflores-Schleusen geht es dann zurück in den Pazifik; oftmals direkt zum Laden und Löschen in den Hafen Panama Stadts. Auf dem Rückweg das selbe Prozedere; oftmals direkt mit Laden und Löschen in Colón. Anstrengende Stunden; dauert doch die Schleusung schon fast den ganzen Tag und dann noch Hafenliegezeit... Außerdem kommt auch Panama-Crew an Bord; die vordere und achtere Station wird zusätzlich zur schiffseigenen Besatzung mit ihnen besetzt - in den Schleusen wird nämlich gemoort, also Leinen festgemacht, während die Tore öffnen und schließen. Außerdem verkaufen die Panama-Crews Magneten an Bord 😅 Ich durfte das sowohl von Brücke aus miterleben, als auch auf Station Winden fahren. Und sagte ich schon: Die Landschaft!




Zum Schluss noch ein paar "harte" Fakten, bevor ich hier zu sehr ins Schwärmen gerate:

  • Länge: 82 km
  • 6% des Welthandels laufen über den Panamakanal (12% über Suez)
  • Bauzeit: 1881-1889 und 1904-1914
  • mindestens 25.000 Tote; jeder Kilometer kostete etwa 305 Menschenleben!
  • 20-40 Schiffe pro Tag; ca. 14.000 im Jahr
  • mit jeder Schleusung fließen 200 Mio Liter Wasser aus dem Kanal ins Meer
  • Gatúnsee dient 55% der panamaischen Bevölkerung als Trinkwasserspender

Funfact: Der Panamakanal ist übrigens weder der längste Kanal der Welt (das ist der Kaiserkanal in China mit über 1800 km) noch der tiefste (Ärmelkanal) oder der meistbefahrendste (das ist der NOK mit 32.000 Schiffen/Jahr!). Meiner Meinung nach ist es aber definitiv der schönste und aufregendste! ♥


VIELEN DANK AN VORABLESEN FÜR DAS REZENSIONSEXEMPLAR

Ein berührender, vielschichtiger Roman, deren Autorin es meisterhaft vermag, Handlungsfäden nach und nach miteinander zu verweben und über einzelne Schicksale die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen aufzuzeigen. Einmal in der Geschichte angekommen, fiel es mir schwer, das Buch beiseite zu legen und ich liebe es, wie Henríquez aus vermeintlichen Nebenfiguren der Weltgeschichte Held*innen ihrer Erzählung machte.

berührend ~ zart ~ mitreißend

Interessiert euch ein ähnlicher Beitrag zum Suez- oder Nord-Ostsee-Kanal? Spricht euch der Roman an? Und achtet ihr eigentlich darauf, wer ein Buch übersetzt? Ich erst seit Kurzem und bei Maximilian Murmann ist mir aufgefallen: Der hat sowohl Das Wesen des Lebens übersetzt, was ich geliebt habe, als auch Anführerinnen, Agentinnen, Aktivistinnen - Außergewöhnliche Frauen, die Regeln brachen - was ich als Hörbuch großartig fand.


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7 Landgänge

  1. Hi Ronja,

    ich mag Deine Einblicke in die große Welt der Seefahrer. Vor allem, weil die Garnierung mit persönlichen Erfahrungen einmalig sein dürfte. :) Von meiner Seite kannst Du gern auch über die anderen Kanäle berichten.

    Herzliche Grüße
    Frank

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    1. Ahoi Frank - das freut mich sehr!
      Dann mache ich mir mal ne Notiz :)

      LG Ronja

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  2. Liebe Ronja, wie schon oft sind deine Buchvorstellungen gleichzeitig ganz wunderbare Reiseempfehlungen. Mehr davon, bitte!

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    1. Awwh, vielen lieben Dank! Das freut mich sehr :)

      LG Ronja

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  3. Hi Ronja,

    eine tolle Idee, die Rezi zum Buch mit deiner eigenen Durchfahrt zu kombinieren! Sehr interessant.

    Das Buch haben wir ähnlich empfunden. Das Cover auf dem Einband fand ich aber überhaupt nicht anasprechend (den Druck auf den Buchdeckeln dann aber umso mehr). Und sehr gestört hat mich beim Titel, dass "grosse" falsch geschrieben ist und eigentlich "große" heißen muss. Da schimpft der Monk in mir...

    LG Sabine

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    1. Ahoi Sabine,

      ach echt, findest du das Cover so unästhetisch? xD Und haha ja, die haben wohl ne Schriftart gewählt, die kein großes ß abbilden kann - obwohl es das ja eigentlich seit 2008 gibt und seit 2017 auch offiziell die richtige Schreibweise ist... Ist mir tatsächlich irgendwie gar nicht aufgefallen; aber kann dein Unmut verstehen :D Und freut mich, dass dich auch mein privater Bericht interessieren konnte :)

      LG Ronja

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  4. Huhu liebe Ronja,
    wie konnte ich diesen Beitrag übersehen? Der Panamakanal ist schon echt klasse - ich war allerdings nur am Beginn und bin auf einem Ausflug mal auf ihm gefahren. 2023/2024 war wenig Wasser im Kanal, weil der Regen ausgeblieben war.
    LieGrü
    Elena

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