Montag, 24. Juni 2024

{Rezension} Aufs Meer hinaus ~ Cecilie Enger

Aufs Meer hinaus || Cecilie Enger || Penguin Verlag || (historischer) Roman || 
HC || 304 Seiten || 1/1

Seit sie denken kann, hat Bertha davon geträumt, ihre streng puritanisch geprägte Heimat im Süden Norwegens hinter sich zu lassen; ein anderes Leben zu führen als das, was von ihr erwartet wird. In der rauen Bergarbeiterstadt Karmøy ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Aufbruch an jeder Straßenecke spürbar – und hier trifft Bertha auch Hanna wieder. Hanna, die so anders ist als andere Frauen und die am liebsten Männerkleidung trägt. Gemeinsam mit Hanna scheint Bertha alles möglich, der Wunsch nach Freiheit und die Sehnsucht nach der Weite des Meeres eint sie, und so machen sie schließlich als die ersten Reederinnen Europas von sich reden. Doch ihre Liebe halten die beiden Frauen zeit ihres Lebens vor der Außenwelt verborgen.


Auf der Leipziger Buchmesse war ich bei der Buchvorstellung und auch wenn die Autorin mich in dem Gespräch (vermutlich auch wegen der Übersetzungen) nicht begeistern konnte, lockte mich doch ihr Buch - Norwegen, Reederinnen, lesbische Liebe? Call me in!

Das letzte in Norwegen spielende Buch, das ich gelesen habe, war Vardø: Nach dem Sturm - leider gefiel es mir ja nicht so. Cecilie Engers Geschichte erinnerte mich in einigen Punkten, vor allem dem Aufbau daran, bereitete mir jedoch mehr Lesefreude.

Die Geschichte von Bertha (und Hanna) ist trotz des ungewöhnlichen Lebensverlaufs eine ruhige, leise. Während ich Hanna die faszinierendere Figur fand und mir gewünscht hätte, mehr über ihr Inneres zu erfahren und sie besser kennenzulernen, folgt die Erzählung doch ausschließlich Bertha. Aus einer anderen Perspektive erzählt oder zumindest abwechselnd hätte das Buch aufregender und fesselnder sein können; ich glaube jedoch, dass die Autorin uns bewusst der vermeintlich "langweiligeren" Figur folgen lässt. 

»Frauen kauften keine Schiffe. Es gab keine Reederinnen. Vielleicht hatte sie irgendwann einmal von einer gehört, aber das war dann die Witwe oder Tochter eines Reeders gewesen. Für zwei Frauen war die Landkarte weiß, ohne Leuchtfeuer, nach denen sie navigieren könnten.«


Die Kühle der Erzählung ist zugleich die Besonderheit des Romans und passt zum norwegischen Setting - ich hätte mir ab und an mehr Leidenschaft und Nähe zu den Figuren gewünscht, statt dem Geschehen aus der Ferne zu folgen; gleichzeitig hat diese fast schon nüchterne Art auch ihren Charme.

Der Klappentext ist insofern irreführend, als dass der Fokus nicht auf dem Reederinnen-Dasein Berthas und Hannas liegt, sondern ihr gesamtes Leben widergegeben wird und es dabei häufig Zeitsprünge gibt. Diese großen Lücken verstärkten den Eindruck, eine Geschichte lediglich erzählt zu bekommen, statt sie mitzuerleben und erhöhten die Distanz zu den Figuren. 

Auch im Ende bleibt sich die Geschichte beziehungsweise die Autorin ihr treu - kein großer Knall und fast schon melancholisch. Ich gebe es zu, dass ich beim Lesen der letzten Sätze Enttäuschung verspürte, weil ich doch auf ein "schöneres" Ende gehofft hatte - im Nachhinein passt es jedoch so, da Berthas und Hannas Geschichte vor allem die eines Lebens voller Aufs und Abs ist. Und letztlich hatten die Beiden ja glückliche Zeiten, viel erreicht und für die damaligen Verhältnisse ein "spektakuläres" Leben geführt. Auch dass die erste Szene nie erklärt wird, enttäuschte mich - wem begegnete Bertha da und inwiefern war das ein wichtiger Moment?

Wundervoll gelungen ist es Cecilie Enger, die Zartheit und Beständigkeit dieser wahren (Liebes-)Geschichte einzufangen. Ich bin froh, dass sie die Zeitzeugnisse zu diesem Roman verarbeitet und somit das Leben von Bertha Torgersen und Hanna Brummenæs festgehalten hat. Und während sie den historischen Kontext veranschaulicht, sind doch auch die Bezüge zur heutigen Zeit, die Verbindungen, deutlich.

»Sie hatte gehofft, die Zeit würde großzügiger werden. Aber jetzt war ihr klar, dass bei Aufklärung das Gegenteil passierte. Es war wie mit der Elektrizität, die das beleuchtete, was man bisher nicht gesehen oder von dessen Existenz man nichts gewusst hatte.« 


Was ich mir zudem noch gewünscht hätte, wäre eine Karte im Buch, um mit dem Zeigefinger mitreisen zu können. Im Gespräch auf der Buchmesse hat der Moderator zudem häufig auf Fotos verwiesen - ich dachte, die seien mit im Buch, aber vielleicht hatte er da auch eine norwegische Ausgabe?!


... noch ein paar Worte zu Gestaltung und Titel:
[4/5] Ich liebe das Cover und wie sich das Bild über den Rücken von Vorderseite bis Rückseite erstreckt. Diese zarten Blautöne passen zudem perfekt zur Kühle und Zartheit der Geschichte. Die beiden Frauen passen jedoch nicht zum Bild der Protagonistinnen, das im Buch gezeichnet bzw. in meinem Kopf entstanden ist.


VIELEN DANK AN RANDOMHOUSE FÜR DAS REZENSIONSEXEMPLAR

Ein leiser und zarter, mitnichten jedoch kraftloser Roman über die ersten Reederinnen Norwegens, der dazu beiträgt, Frauen in der Geschichte ihren Platz (zurück) zu geben beziehungsweise aus der Vergessenheit zu holen.

zart ~ leise ~ kühl

Bücher in und aus Norwegen; welche fallen euch da ein? Mögt ihr ruhige, leise Geschichten? Welchen Roman habt ihr zuletzt gelesen?


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2 Kommentare:

  1. Hallo Ronja,,, danke für deinen Besuch bei mir und hier für deine treffende Rezi. Das Cover hat mir noch am besten an diesem kühlen Roman gefallen. Aber so ist das oft beim Lesen- sehr gefährlich ein Buch auf Grund eines Cover anzunehmen.
    Herzlich Angela

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    1. Ahoi Angela und willkommen an Bord :)

      Oh ja, Coverkauf ist leider oft Grund für Enttäuschung...

      Sonnige Grüße
      Ronja

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