Die Himmelskugel || Olli Jalonen || mare || Roman || HC || 544 Seiten || 1/2
1679. Mitten im Atlantik, auf der Insel St. Helena, träumt der achtjährige Angus einen großen Traum: Er will in die Fußstapfen des Sternenforschers Edmond Halley treten und dessen Gehilfe im fernen London werden. Angus übt für seine Laufbahn als Wissenschaftler, indem er tagsüber Vögel zählt und nachts die Position der Sterne markiert, wie Halley es ihm bei seinem Besuch auf der Insel beigebracht hat. Als es unter dem tyrannischen Gouverneur zu Unruhen kommt, rückt die Erfüllung von Angus’ Traum unverhofft näher: Mit einem geheimen Brief wird er als blinder Passagier an Bord eines Schiffes geschickt, um in England die Hilfe des geschätzten Herrn Halley zu erbitten…
Ein außergewöhnlicher Roman über die Anfänge der Aufklärung und die berührende Freundschaft zwischen einem kleinen Jungen und einem großen Universalgelehrten.
Lange habe ich nach den "richtigen" Worten für dieses Buch gesucht. Denn so schwer es manchmal sein mag, Begeisterung in Worte zu kleiden: Noch kniffliger ist es häufig, Enttäuschung angemessen und konstruktiv auszudrücken.
Gleich vorweg: Abgesehen davon, dass "gut" und "schlecht" keine adäquaten und aussagekräftigen Adjektive für Bücher sind, sind sie vor allem subjektive Empfindungen. Diese Rezension ist kein Verriss; kein pauschales Abraten von diesem Buch. Viel mehr eine Begründung, warum es mir keine Lesefreude bereitete.
An aller erster Stelle steht - mal wieder - die verflixte Erwartungshaltung. Nach einigen spannenden Büchern über Wissenschaft und Entdeckungen sowie Klappentext und Cover erhoffte ich mir eine Mischung aus Abenteuerroman, Wissenschaftsgeschichte, Sternenliebe und Segelfieber. Leider nein. Die Seereise findet erst in der Hälfte des Buches statt und verbindet eher zwei Erzählabschnitte, als dass sie eigene Bedeutung oder Schönheit entfalten konnte. Halley und seine Forschung kamen mir auch zu kurz, dazu jedoch später mehr.
Zunächst zur Handlung an sich, die für mich weit von einem Abenteuerroman entfernt war: Das über 500 Seiten starke Buch ist von vielen ausführlichen Schilderungen, ausschweifenden Gedankengängen und Reflexionen geprägt. Die Geschichte ist langsam; von vielen Alltäglichkeiten und Episoden geprägt, die Angus sicherlich prägten; die eigentliche Handlung jedoch nicht voranbrachten. Das Zusammentreffen von ihm und Halley geschieht denn auch erst nach Hälfte des Buches; dann erst bricht Angus überhaupt auf. Bis dahin lernen wir seinen Alltag; das harte Leben auf St. Helena kennen. Das mag auch seinen Reiz haben, war aber nicht meine Motivation, dieses Buch zu lesen.
Zudem tat ich mich schwer mit Angus, der sicherlich ein Kind seiner Zeit und Umstände war - mich störte jedoch seine naiv-passive Art, die Welt zu betrachten und alles scheinbar ohne Emotionen hinzunehmen. Er wird zusammengeschlagen? Okay. Die Schwester vergewaltigt? Okay. Die Mutter verleumdet? Okay. Überhaupt, die Frauen dieses Buches sind ein weiterer Punkt, der mich störte: Außer einer passiven Opferrolle hatten sie überhaupt keine Bedeutung für die Geschichte, geschweige denn Form und Farbe. Egal ob Angus´ Mutter oder Schwester, die Ehefrau von Halley - sie alle waren einfach da. Und mussten Leid erfahren. Jaja ich weiß, "so war das halt eben damals"?! Das Narrativ gefällt mir dennoch nicht. Ein weiterer Punkt: Der omnipräsente Rassismus, das Klassendenken, die Legitimation der Hierarchien durch den Glauben. Angus (und auch Halley) kratzen zwar an der Oberfläche - "die Anfänge der Aufklärung" habe ich mir jedoch ausdrücklicher und kraftvoller vorgestellt und erhofft.
»Zerstörung ist keine Bestimmung, sondern eine Dummheit des Menschen,
die Dummheit entströmt der Gedankenlosigkeit und der Willkür falscher
Vorschriften«
Zwischendurch habe ich öfters darüber nachgedacht, das Buch abzubrechen. Auf Grund fehlender Bindung zu Angus war es mir schlichtweg egal, was (ihm) noch passieren würde. Ich hatte dennoch Hoffnung, dass die ausbleibende Spannung noch einsetzen würde, eine Art "Ziel" sich herauskristallisieren würde. Leider enttäuschte mich jedoch auch das Ende. Im letzten Abschnitt des Buches gefielen mir Angus und Handlung zwar besser, das offene Ende ließ mich jedoch unbefriedigt zurück. Wie bei Washington Black schwebte über meinem Kopf dieses große Fragezeichen - ja und? Was war jetzt die Botschaft, die Geschichte, die unbedingt hatte erzählt werden müssen? Zudem fehlte mir eine historische Einordnung, ein Nachwort des Autors - irgendwas, damit diese 544 Seiten nicht einfach so stehen bleiben. Leider Fehlanzeige.
Herrn Halley, das hatte ich schon angedeutet, lernen wir nur passagenweise kennen. Um ihn dreht sich zwar Angus´ ganze Welt; seine Forschung und Bedeutung wurde jedoch nicht so ausführlich thematisiert, wie ich mir das gewünscht hätte. Unterschwellig wird zudem immer wieder angedeutet, dass er keine so weiße Weste hat, wie Angus das stets glaubt - leider bleiben konkrete Auflösung und die gebührende Empörung hier jedoch aus.
»Eigentlich hat der Mensch ein Meer in sich. Es gibt ähnliche große
Wellen und Wind, und am Abend geht die Dünung zurück.«
Während Figuren und Handlung mich also gar nicht zu begeistern wussten, konnte mich Olli Jalonen mit seinem Schreibstil durchaus berühren. Ja, viele Passagen und Gedankengänge waren mir bei Weitem zu ausschweifend, die Perspektive zu naiv-unhinterfragend und hinnehmend - die Wortwahl und Ausdrucksweisen jedoch haben einen gewissen Zauber. Passend zum ruhigen Verlauf der Geschichte ist auch die Sprache auf eine elegante Art träge und nachdenklich. Wer an poetisch anmutender Literatur Freude hat, sollte diesem Buch definitiv eine Chance geben.
Erwähnenswert übrigens: Dieses Buch wurde nicht - wie so häufig - aus dem (Amerikanischen) Englisch übersetzt, sondern aus dem Finnischen. Leider fehlt mir der Vergleich zu anderer finnischer Literatur; das wäre sicherlich interessant...
... noch ein paar Worte zu Gestaltung und Titel:
[4/5] Die wunderschöne Gestaltung des Covers (wobei ich die orangefarbige Schrift ungünstig eingefügt finde) machte mich erst auf dieses Buch aufmerksam - ebenso wie der geheimnisvoll und poetisch klingende Titel.
VIELEN DANK AN MARE FÜR DAS REZENSIONSEXEMPLAR
Leider konnten mich weder Handlung noch Figuren mitreißen - statt Abenteuerstimmung empfand ich - trotz anmutigem Schreibstil - häufig Desinteresse am Geschehen.
ausschweifend ~ schleppend ~ unbefriedigend
Mögt ihr ruhige, nachdenkliche Erzählungen? Welches Buch erfüllte zuletzt so gar nicht eure Erwartungen? Und was war euer letzter Coverkauf?
Liebe Ronja
AntwortenLöschenDas ist jetzt wirklich witzig, deshalb muss ich dir unbedingt schreiben. Beim Betrachten des Bildes dachte ich mir: "Hmmm, zu diesem Buch hätte ich nie gegriffen, die orange Schrift verschandelt das Cover doch ziemlich. Aber schauen wir einmal, ob Ronja am Buch Gefallen gefunden hat."
Hat sie nicht, das Buch wird definitiv nicht gelesen ;-)
Alles Liebe
Livia
Ahoi Livia,
Löschenwie witzig ist das denn :D Aber mein (maritimer) Buchgeschmack ist wohl gut bekannt, haha.
Und voll, warum die Entscheidung auf die organgefarbige Schrift (ja, der Einband trägt die Farbe auch, aber dennoch) gefallen ist, ist mir ein Rätsel xD
Gerade in Bezug auf die "Rolle" der weiblichen Figuren kann ich guten Gewissens sagen, dass ich sicher bin, dass dir das Buch nicht gefallen wird ^^
Liebe Grüße & ein schönes verlängertes Wochenende
Ronja