Die Bibliothek der sieben Meere || Alexander Pechmann || mare Verlag || Sachbuch || HC || 256 Seiten || 1/1
Im Bücherregal Alexander Pechmanns verbirgt sich ein besonderes Kleinod: Seine Seiten sind vergilbt, der Rücken durchgewetzt, der blutrote Leineneinband fleckig, als hätte es monatelang in einem offenen Rettungsboot gelegen. Es ist der maritime Lieblingsroman seines zur See fahrenden Ururgroßvaters und Urquell einer nun schon über mehrere Generationen vererbten Liebe zur Meeresliteratur. In seinem von Orlando Hoetzel wunderschön illustrierten Buch spürt Alexander Pechmann dieser Liebe nach. Er gibt einen Überblick über bekannte und unbekannte Werke, beleuchtet Zusammenhänge und Einflüsse und nimmt uns mit auf eine abenteuerliche Reise über die sieben Meere der Literatur, wo seit Odysseus’ Irrfahrt Geisterschiffe kreuzen und Windsbräute toben, wo Schiffbruch erlitten, gemeutert, geschmuggelt und so mancher Goldschatz gehoben wird.
Bereits als ich diesen Titel in der Vorschau entdeckte, war ich aufgeregt - und noch viel me(e)hr, als ich das Schätzchen dann in den Händen hielt: Leineneinband, Lesebändchen und fernes Wellenrauschen...
Und was soll ich das sagen?! Das hier wird eine langweilige Besprechung, denn außer absoluter Begeisterung kann und möchte ich euch zu dem Buch gar nicht erzählen 😅
»Auch wenn nicht jeder gleichermaßen den ozeanischen Naturgewalten und
Gefühlen genügen konnte, hat doch selbst der bescheidenste Versuch ein klein
wenig dazu beigetragen, das Meer in unsere Bücherregale, Wohnstuben und sogar
bis in unsere Träume zu tragen. Die Sehnsucht nach dem Meer vermögen bloße
Worte nicht zu stillen, seien sie noch so treffend, aber sie halten die
Sehnsucht wach, seit Homer die ersten Zeilen der Odyssee zu Papier
brachte.«
Dem Autor gelingt es, die vielschichtige und schon immer da gewesene Faszination der Menschheit für das Meer in Worten einzufangen und aus der Literatur zugleich hervorzuholen. Dabei zeigt sich Pechmann als vielbelesener Experte, ohne unangenehmes name dropping zu betreiben; ich fühlte mich nicht belehrt und einem Dozenten ausgesetzt, sondern inspiriert und wie in einem Gespräch mit Gleichgesinnten. Wenn ich Werke und Autor*innen kannte, löste das ein heimeliges Gefühl aus und bei Unbekanntem Lust und Neugier, da mal reinzublättern.
Auch die Einteilung in die sieben Kapitel, die sieben Meere der Mythen, des Unbekannten, der Abenteuer, der Arbeit, des Unheils, der Angst und der Leidenschaften gefiel mir; gab es doch somit eine thematische Untergliederung, die jedoch genauso fließend wie das titelgebende Element selbst ist. Aus wie vielen Perspektiven die Menschen sich dem Meer genähert haben, wie unterschiedlich sie es bewerteten und welch variierende Rollen es im Leben spielen kann, ist literarisch eindrucksvoll nachvollziehbar - da sind romantisierte und verklärte Vorstellungen, Fernweh und Abenteuerlust, Angst und Verlust, alltägliches Arbeiten und erholsamer Urlaub, Natur und Naturgewalt; so viele Aspekte! Pechmann schaut hier weit über den Tellerrand "klassischer" Meeresliteratur, also solcher, die das Meer explizit thematisiert, hinaus und erzählt auch von Werken, in denen es nur am Rande oder in Vorstellungen vorkommt. Der Kanon ist leider fast ausschließlich westlich, aber zumindest nicht rein-männlich.
»Auf hoher See scheinen die Grenzen zwischen Fakten und Fiktion leichter
zu verschwinden als anderswo, und man kann mit einer Handvoll nautischer Fachbegriffe
ein unheiliges Maß an Authentizität vorgaukeln. Aber nicht nur die Trennlinie
zwischen Dichtung und Wahrheit wird mitunter durchlässig, sondern auch jene
zwischen Erzählung und Essay, Klassik und Romantik. Was für literarische
Kategorien gilt, scheint ebenso für unterschiedliche Nationalitäten und
Sprachen zu gelten. Diese verschwimmen nicht nur auf den Schiffen, die mit
ihren zusammengewürfelten Crews zu fremden Gestaden aufbrechen, sondern auch in
den Lebensläufen etlicher Romanciers, deren Horizont sich nie auf eine kleine
Ecke der Welt beschränkte. Es liegt in der Natur des Meeres, dass man
schwerlich Zäune errichten und Grenzsteine setzen kann, und ebenso verhält es
sich mit der Meeresliteratur und den Meeresliteraten.«
Immer wieder finden Zitate und Auszüge von Gedichten, Romanen und anderen literarischen Werken ihren Weg auf die Seiten des Buches, aber auch Pechmanns Schreibstil an sich ist wunderbar und voller Faszination für das Meer. Ein wahres Lesevergnügen!
Auf meiner Liste sind jetzt übrigens Ned Myers oder Ein Leben vor dem Mast (Cooper), Das Geisterschiff oder Der fliegende Holländer (Marryat), Two years before the Mast (Dana), Die Koralleninsel (Ballantyne), Das Nebelhorn (Bradbury), Chita (Hearn) und Purpursegel (Grin) gelandet. Außerdem, mit weniger Meer-Bezug und dennoch durch dieses Buch: Der Schimmelreiter, Candide sowie Die Räuber.
... noch ein paar Worte zu Gestaltung und Titel:
[5/5] Bereits der Einband lädt zum (Weg-)Träumen ein und die sieben ganzseitigen Kapitelillustrationen sind einfach wunderschön ♥ Sowohl die Haptik der Leinenbindung als auch der samtigen Seiten lassen zudem mein bibliophiles Herz höher schlagen. Und auch der Titel sagt mir zu.
VIELEN DANK AN MARE FÜR DAS REZENSIONSEXEMPLAR
Mit diesem Buch in See zu stechen und die sieben Meere aus dem Lesesessel heraus zu erkunden, ist ein Vergnügen - egal ob für bibliophile Landratten oder Shantysingende mit Salzwasser in den Adern.
bibliophil ~ fernwehweckend ~ abenteuerlich
Mögt und lest ihr Bücher über das Meer? Habt ihr ein maritimes Lieblingsbuch? Und lest ihr lieber aus der Landperspektive (über das Meer) oder Schilderungen von Menschen auf See?
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Huhu Ronja,
AntwortenLöschenda ich dieses Buch in der Aktion Bestbewertung bei dir entdeckt habe und neugierig darauf wurde, wollte ich unbedingt in deine Rezension hineinspitzeln. Glücklicherweise haben wir den Erscheinungstermin passiert und ich musste nicht auf deine Rezi warten. =)))
Ich bin immer noch ein starker Fan vom Cover und Titel. Die Innengestaltung und deine Fotos sind auch ein Traum! Es gab mir direkt ein wenig das Gefühl auf dem Meeresgrund auf Schatzsuche zu sein. Vom Schreibstil gefällt es mir auch schon ganz gut, deine Zitate sind toll gewählt. Liest es sich denn ähnlich wie ein Fachbuch über Meeresliteratur? Oder baut der Autor sein Wissen rund um eigene Geschichten auf? (oder ist es vielleicht ganz anders aufgebaut?)
Werde ich mir auf jeden Fall mal merken. Tolle Rezension!
Ganz liebe Grüße
Leni
Ahoi Leni,
Löschenhaha da hattest du ja Glück xD Und ja, einfach ein wunderbares Buch - es liest sich nicht unangenehm wie ein Fachbuch; viel mehr fühlt es sich wie ein bibliophiler Austausch an: Der Autor berichtet von verschiedenen Büchern, schlägt gekonnte Bögen und verweist manchmal sogar nur im Nebensatz auf Geschichten, während er andere grob zusammenfässt und nacherzählt. Also zB bei einem der Kapitel erzählt er von Geisterschiffen und Legenden darum, den bekanntesten Werken, bei der Kapitel zu Liebe schlägt er einen Bogen von Jane Austen und wie sie Kapitäne darstellt zu der Darstellung von Liebe zwischen Männern an Bord und kontextualisiert dabei. Also wirklich angenehm zu lesen; kein trockener Aufsatz ^^
Liebe Grüße
Ronja