Libertalia: Die utopische Piratenrepublik | | Hrsg. Helge Meves | | Matthes & Seitz Berlin | |
HC | | 238 Seiten | | 1/1
HC | | 238 Seiten | | 1/1
Jeder kennt die Welt der Piraten als abenteuerliches Universum aus Holzbein, Säbelkampf und Totenkopfflagge. Doch nur wenige wissen, dass viele Seeräuber ihre Beute teilten, demokratische Versammlungen abhielten und entlaufene Sklaven aufnahmen. Die fortschrittlichen Gemeinschaften der Freibeuter spiegeln sich auch in Daniel Defoes 1728 erschienenem Bericht über die Piratenrepublik Libertalia wider, der hier zum ersten Mal auf Deutsch erscheint. Defoe schildert die Geschichte des abenteuerlustigen Edelmanns Misson und des desillusionierten Priesters Caraccioli, die auf Madagaskar eine auf Toleranz, Gütergleichheit und radikaler Demokratie beruhende Piratenbruderschaft gründen, um Sklaven aus der Gefangenschaft zu befreien. Während die Republik in Defoes Geschichte schließlich niedergeschlagen wird, lebt Libertalia als humanistische, herrschaftsfreie Utopie bis heute weiter. Neben Defoes Text enthält das Buch historische Piratensatzungen sowie Reiseberichte und erläutert die politischen Ideen der Piraten im Kontext der staatstheoretischen Debatten und Utopien der damaligen Zeit. Nicht nur, dass die Seeräuber demokratischer und sozialer lebten als die absolutistischen Machthaber und Kolonialherren, auf ihren Schiffen segelte auch die Hoffnung auf einen Zusammenschluss gleicher und freier Menschen mit, die bis heute unabgegolten ist.
Als mir dieses Buch im Buchladen zufällig in die Hände fiel, war meine Neugier geweckt - ohne Cover und Klappentext verriet dieses Buch einfach nicht, worum genau es sich hierbei handelt. Aber Defoe und Piraten? Her damit!
Selten habe ich ein so ungewöhnliches Buch gelesen. Das liegt ja häufiger auf der Zunge - aber bei diesem Buch beginnt es schon damit, dass ich noch immer nicht weiß, was ich da eigentlich gelesen habe. Zur Hälfte besteht das Buch aus Texten von Defoe und anderen Autoren zur Piratenrepublik Libertalia, zur Anderen aus Anmerkungen des Herausgebers Helge Meves. Ist das ganze also eine wissenschaftliche Arbeit? Eine Kommentierung von Literatur? Ein politikwissenschaftlicher Gedankenprozess anhand von Quellen? Eine lose Zusammenstellung aller bekannten und relevanten Fakten zu Libertalia?
»Sie zeigen nicht nur, wie die Menschen anders zusammen leben könnten, sondern
schärfen auch die Sinne für das, was diesen Gesellschaften fehlt, was die Leser
zu einer künftigen besseren Gesellschaft selbst hinzutun sollen, wenn sie die
utopische Erzählung aus der Hand gelegt haben.«
Was es auch ist, eines ist dieses Buch ganz gewiss: Bereichernd für jedes freiheitsliebendes Piratenherz! Ich hatte zuvor nicht von Libertalia gehört und finde den Gedanken unfassbar faszinierend, dass es möglicherweise eine autonome, basisdemokratische Piratenrepublik gegeben haben könnte, die ihrer Zeit in puncto Gleichheit und Freiheit weit voraus war! Gerade in heutigen Zeiten, wo Fragen nach Demokratie und alternativen Gesellschaftsmodellen (immer) wieder laut werden, ist es interessant, sich mit Ansätzen früherer Zeiten auseinander zu setzen.
Ich bin wissenschaftliche Texte durch mein Politikstudium mittlerweile ja gewöhnt - Helge Meves schreibt jedoch angenehm lesbar; lediglich die Quellen- und Literaturangaben geben Aufschluss über seinen akademischen Kontext. Mir als Leserin blieb es offen, das Buch entweder nur als Input über Libertalia zu lesen, oder es als Denk- und Recherchebeginn zu betrachten; weiteren Quellen zu folgen und mich tiefer in die Materie zu begeben.
»Denn wenn die Gleichheit untergehe, folgten Elend, Verwirrung
und gegenseitiges Misstrauen wie die Ebbe auf die Flut.«
Im Nachhinein würde ich sagen, dass ich die Kommentierung zuerst hätte lesen sollen, um dann die Originalquellen besser verstehen und einordnen zu können. Andererseits hätte ich so den Genuss nicht gehabt, (Abenteuer-)Roman und Sachbuch in einem zu haben. Mich, ohne jegliches Vorwissen in die Geschichten von Misson, Tew und Co zu begeben, um dann zu erfahren, was dahintersteht, bewiesen und spekuliert ist.
NACHTRAG: Eine ganz andere Perspektive auf Pirate*innen, Anarchie und Libertalia bietet dieser wundervoll unterhaltsame Podcast: Were Pirates Comunists? von History is Sexy. Auch Grace O´Malley und Ching Shih sprechen die beiden an.
NACHTRAG: Eine ganz andere Perspektive auf Pirate*innen, Anarchie und Libertalia bietet dieser wundervoll unterhaltsame Podcast: Were Pirates Comunists? von History is Sexy. Auch Grace O´Malley und Ching Shih sprechen die beiden an.
... noch ein paar Worte zu Gestaltung und Titel:
[5/5] Auch äußerlich ist dieses Buch ungewöhnlich - es hat keinen Klappentext, kein "richtiges" Cover und mutet wie ein altes, in einer Bibliothek zufällig in die Hände gefallenes, Buch an. Der Vorsatz besteht aus zwei wunderbar antiken Karten - ein durch und durch hochwertiges, edel anmutendes Buch!
VIELEN DANK AN MATTHES & SEITZ FÜR DAS REZENSIONSEXEMPLAR
Schwer zu beschreiben oder in Schubladen und Kategorien zu stecken - ein wunderbares Buch über und zu Libertalia, Piraten, Anarchie und Demokratie, Freiheit und Utopie. Lesen!
aufschlussreich ~ hochwertig ~ einzigartig
Habt ihr schon mal was von Libertalia gehört? Habt ihr ein solches Herzensthema, zu dem ihr immer wieder Bücher lest, in Ausstellungen geht und Filme anschaut?
Hallo Ronja,
AntwortenLöschenDeine Kommentarfunktion spinnt immer noch...
Von diesem doch sehr ungewöhnlichen Buch habe ich noch nie gehört...
Was ich persönlich nicht mag sind Bücher wo es um extreme sexuelle Fantasien bzw. extreme Gewalt egal auf welcher Ebene geht
Zum Geburtstag habe ich mir gewünscht..."Vox" die Geschichte, wo Frauen plötzlich nur noch eine bestimmte Anzahl von Wörtern sagen würden.
Vielleicht kennst Du den Roman auch?
Bekommen habe ich ihn...hat, aber 2. Anläufe gebraucht bei dieser Bestellplattform "Momox"
Weil beim 1. Mal die englische Ausgabe geliefert , die mein Mann, aber nicht bestellt hatte.
Beim 2. Mal kam es dann in deutsch, aber ohne Umschlag.....schade...was will man machen in den Zeiten von Corona...
Leider hat es meinen örtlichen Buchladen im Januar schwer erwischt...mit einem Wasserschaden...
Der hatte ohnehin seit Februar nun geschlossen..deshalb auch diese Bestellung.
Welche Erfahrungen hast Du mit Online-Bestellung gebrauchte Bücher gemacht....war meine erste Erfahrung...
Na ja....jetzt ist in Bayern ohnehin fast alles geschlossen...
Also bleib gesund..LG..Karin..
Ahoi liebe Karin,
Löschenhmmm, ich weiß echt nicht, was da schief läuft?! Ich habe deinen Kommentar dann wieder für dich gepostet, wie in den guten alten Zeiten *zwinker*
Ich bin wie gesagt auch total zufällig über dieses Buch gestolpert; es vorher noch nie gesehen ^^
Und jaa, solche Bücher mag ich auch gar nicht ^^
Zu Vox: Habe ich von gehört, bin also gespannt auf dein Feedback :) Und ach wie ärgerlich. Mit medimops hatte ich auch schon einiges an Stress, während arvelle immer super funktioniert hat und rebuy eigentlich auch.
Alles Gute für deinen Buchladen! Einige stellen ja jetzt auf Versand um...
Ja bei uns hier in Berlin auch ^^
Bleib auch gesund & alles Gute
Ronja
Hallo Ronja,
AntwortenLöschenin der Geschichte der Piraten ist es ja besonders schwer, Fakten von
Fiktion zu trennen. Auch die Geschichte von Libertalia oszilliert
irgendwo auf dieser Grenze. Der Bericht geht ja auf einen Captain
Johnson zurück, dessen Identität bis heute in Frage steht. Manche
meinen, es wäre ein Pseudonym von Daniel Defoe gewesen, so dass die
Bücher von Johnson eine Zeit lang direkt unter Defoes Namen
veröffentlicht wurden. Auch Captain Misson ist möglicherweise eine
fiktive Figur. Ich weiß nicht, inwieweit Helge Meves darauf eingeht,
aber das Buch scheint wirklich gut gemacht zu sein, und der Verlag hat
ja einen guten Ruf. Danke also für diesen Buchtipp!
Viele Piraten hatten tatsächlich egalitäre und basisdemokratische
Ansätze, da gibt es ganz erstaunliche historische Belege für. Allerdings
waren es oft eben nur Ansätze und man findet unter ihnen auch das genaue
Gegenteil, Rassismus, Sexismus, abstoßende Brutalität und
Menschenverachtung. Aber dieses schillernde Bild macht es vielleicht
auch so reizvoll, sich damit zu befassen.
Dein Posting hat bei mir erstmal eine längere Wikipedia-Lesereise (de
und en) zu den entsprechenden Begriffen ausgelöst, da ich mich länger
nicht damit befasst habe. Immer wieder ein spannendes Thema, danke für
die Anregung.
Zur Ergänzung kann ich folgendes Buch sehr empfehlen:
Gabriel Kuhn: Unter dem Jolly Roger – Piraten im Goldenen Zeitalter
Assoziation A 2011 – ISBN 3862414000
(nur noch antiquarisch zu bekommen)
Klappentext: "Das Buch untersucht die Kultur und Ökonomie, die
moralischen Prinzipien und sozialen Organisationsformen der Piraten (…).
Die Studie versteht sich als wissenschaftlicher Beitrag zur
Piratenforschung (…)"
Der Autor schreibt aus einer linken Perspektive, aber angenehm
unideologisch. Er untersucht speziell linke Phantasien über die
piratische Lebensform (Spoiler: sein Fazit ist eher ernüchternd, aber
nicht völlig negativ). Das ganze ist aber auch einfach ein spannendes
Piratenbuch, sehr zu empfehlen.
viele Grüße, bleib gesund – und immer ne Handbreit Wasser unterm Kiel :)
Ahoi Dampier,
Löschender Autor geht tatsächlich darauf ein, dass die Zuschreibung der Libertaliageschichte zu Defoe nicht ganz unumstritten ist; einfach wirklich faszinierend, wie du sagst!
Und ja, ich finde auch, dass Piraterie gerade wegen dieser Ambivalenz so interessant ist...
Und oooh, das freut mich aber sehr, dass mein Post so inspirieren konnte! Was hast du denn so recherchiert/herausgefunden?
Danke für diesen grandiosen Buchtipp, das klingt klasse! Ich gucke mal, ob ich das bekommen kann!!
Die lieben Grüße & Wünsche kann ich nur zurückgeben und zudem einen schönen Sonntag wünschen
Ronja