Ein simpler Eingriff || Yael Inokai || Hanser Berlin Verlag || Roman || 3/5 Anker
Ahoi! Welch gemischte Gefühle ich für diesen Roman habe... das Fragment, das Yael Inokai uns hier zeigt, beeindruckt mich ob Sprache und Intensität - gleichzeitig fehlt es mir an allem. An Gefühlen, an Ende, an Antworten - vor allem aber an World Building. Wo und wann spielt die Geschichte von Meret, Sarah und Marianne? Wie ist die Gesellschaft aufgebaut, was ist mit Merets Familie, warum scheinen so viele einen "Eingriff" zu benötigen, wie ist die Stellung der Frau, ist Homosexualität verboten...??? Und doch, die drei Frauen und ihre Autorin hinterließ bleibenden Eindruck. Vielleicht zeigen euch die Zitate, warum.
»Ich hielt sie beschäftigt und nahm ihnen die Angst. Mitgefühl nannte ich das Ich kann das gut, weil ich das Mitgefühl beherrsche. Es war ein simpler Eingriff. Die Nachwirkungen konnten schmerzhaft sein, aber das ging vorüber. Dann fing etwas Neues an. So wurde es mir beigebracht. Daran hielt ich fest.« (S. 6)
»Aber der Körper gewöhnt sich an fast alles.« (S. 13)
»Ein schwerer Koffer will das Zuhause in einen fremden Raum bringen, mitsamt all seinem unnötigen Schnickschnack, damit es überhaupt möglich wird, sich darin aufzuhalten.« (S. 23)
»Aber das, was hier gesagt wurde, war nicht weniger wahr. Aller Einfachheit zum Trotz war es ein delikates Vorhaben. Angst machte die Dinge delikat.« (S. 32)
»Das Hirn ist eine Landkarte. Alles, was ich bin, ist irgendwo verortet.« (S. 38)
»Fortschritt kann schmerzhaft sein. Die Dinge werden besser, aber zuerst werden sie schlimmer. So ist es eben.« (S.39)
»Was den Eingriff anbelangte, waren auch die Schwestern auf unserer Station geteilter Meinung. Wenn sie denn überhaupt eine hatten. Manche waren gut darin geworden, sich jede Meinung abzugewöhnen. Die Vorgaben und Regeln fingen einen immer auf. Meinungen konnten das nicht.« (S. 40)
»Weil... ein Name eine Zuordnung ist. Etwas, mit dem sie sich durch die Welt bewegt. Aber ihr Vorname ist das, womit man nach ihr gerufen hat. Bevor sie überhaupt selbst sprechen konnte. Das ist in ihr drin. Tiefer als...« (S. 60)
»Das war seine Triebfeder: Die Rückschläge werden sich am Ende auszahlen; sie sind der logische Preis des Fortschritts. Er konnte sich an sie halten. Und eigentlich sollte das auch meine Triebfeder sein. Aber als ich die Worte wiederholte, sie leise zu mir selbst sagte, in diesem Zimmer mit Marianne führten sie geradewegs zurück an den Abgrund. Ich verstummte.« (S. 206)
»Die meisten, die ich pflegte, hatten diese Überzeugung: Ich war einmal ganz. Wenn sie es selbst nicht formulieren konnten, taten es ihre Angehörigen. Die Vergangenheit war ein Zustand, ein Ort, so unbeschadet, dass er einer Übertragung in die Wirklichkeit wohl kaum standgehalten hätte. Aber ungeachtet dessen wünschten ihn sich alle zurück. [...] Es war nicht immer wie jetzt. Deshalb musste es auch einen Weg zurück geben. Wer einmal gesund gewesen war, den konnte man nicht einfach so der Hoffnungslosigkeit aussetzen. Daran klammerten sich die Menschen.« (S. 249)
»Hoffnung ist gefährlich. Ich hatte schon erlebt, wie sie Menschen letzten Endes in die Verzweiflung trieb. Trotzdem gab es keine Alternative zu ihr. Nicht auf meiner Station. Die Medizin stand schließlich auf den Schultern der Hoffnung. Ich musste sie immer wachhalten, egal, wie aussichtslos die Lage war.« (S. 254)
»Wenn die Aussichten schlimm genug waren, versuchten die Leute alles. Sie warfen ihre Vernunft und ihren Verstand über Bord. Sie glaubten Scharlatanen, richteten sich nach den Sternen, begannen zu beten und wechselten den Gott rasch wieder aus, wenn er ihnen nicht zu Hilfe kam. Früher oder später gaben sie auf. Aber solange sie ihre Bücher in den Händen hielten, solange sie Geschichten erzählten, von denen sie glaubten, dass sie Menschen zurück ins Leben holten, solange musste man sie machen lassen.« (S. 261)
Kennt ihr solche (Kurz-)Geschichten, bei denen ihr euch einfach mehr Seiten gewünscht hättet; mehr Raum für Figuren und Entwicklung? Ich habe so viele Fragen an den Roman...
Hey meine Liebe
AntwortenLöschenWas für interessante Einblicke... Das Buch steht schon länger auf meiner Wunschliste und ich hoffe, dass es mir gefallen und mich fordern wird.
Alles Liebe an dich
Livia
Ahoi liebe Livia,
Löschenich glaube, dir wird das Buch gefallen! Es ist ja auch nicht so, dass es mir nicht gefallen hätte - im Gegenteil; ich hätte ja gern mehr davon gehabt ^^
Gerade habe ich "Die kranke Frau" (sorry, noch nen Buchtipp für dich) gelesen und da gab´s ne Passage zur Familie Kennedy und dass Rosemary am Hirn operiert wurde, weil ihr Verhalten nicht den Normen entsprach und nun ja, danach war sie Salat und das alles erinnert mich sehr an dieses Buch hier und ich frag mich jetzt, ob das ne Anspielung ist weil in nem Interview hat die Autorin auch die Nachkriegszeit als Setting angegeben...
LG Ronja
Hallo liebe Ronja,
AntwortenLöschendeine ausgewählten Zitate verleihen einen sehr guten Einblick in den Schreibstil, in die Stimmung des Buches. Ich kann sehr gut verstehen, dass du trotz der Kritikpunkte sehr begeistert von dem Buch warst. Es scheint ein wenig düster von der Stimmung her zu sein und zugleich aber auch einige sehr interessante Weisheiten zu beinhalten. Du hast mich definitiv neugierig gemacht.
Liebe Grüße
Tanja :o)
Ahoi Tanja,
Löschenah das freut mich, das Buch ist wirklich lesenswert, auch wenn ich keine 5/5 Bewertung abgeben kann - weil ja, die Geschichte bleibt im Kopf. Wegen der Eindrücklichkeit, mit der sie erzählt wird. Falls du das Buch lesen solltest, bin ich sehr gespannt auf deine Meinung!
LG Ronja