Glühender Hass || Monika Loerchner || acabus || Fantasy || TB || 412 Seiten || 2/?
Er sollte einst Oberhaupt der Familie werden, jetzt gilt er weniger als nichts: Von seiner Mutter in eine männerverachtende Gesellschaft geschleppt und dann im Stich gelassen, ist der junge Kolja hin- und hergerissen zwischen dem Hass auf seine Gebärerin und dem Wunsch, endlich seinen Vater zu finden. Um seinen Zielen näherzukommen, geht er einen gefährlichen Pakt ein und stellt sich gegen die Gesetze der Hexen des Goldenen Reiches – und gegen die der Göttin.
Wie ergeht es einem Jungen in einer matriarchalischen Welt, in der er zum schwachen Geschlecht gehört? Dieser Frage stellen sich Autorin und Buch - und wie erging es mir damit? Denn nachdem mich der erste Band so begeistern konnte, war die Erwartung an diese heißersehnte Fortsetzung natürlich riesig...
Und obwohl die Welt des Goldenen Reiches mir durch den ersten Band bereits bekannt war, konnte mich Monika Loerchner mit dieser Vision eines Matriarchats wieder begeistern und beeindrucken. Denn obwohl auch in diesem Reich Ungerechtigkeit und Ungleichheit existiert, ist die Heimat Helenas doch deutlich freier und fortschrittlicher, als patriarchische Gesellschaften: Hautfarbe und Herkunft, sexuelle Orientierung, Akzent - all´ das spielt in der Welt der Frauen keine Rolle (mehr). Eine Frau zu lieben ist einer anderen nicht nur erlaubt; es ist einfach nichts besonderes.
Interessant war es aber nun, durch Koljas Perspektive, der eines Jungen und damit in der sozialen Hierarchie ganz weit unten, diese Welt zu erleben. Denn nicht alles, was glänzt, ist auch Gold. Alle, die keine oder nur schwache Magie haben, werden im Goldenen Reich benachteiligt, sind potentielle Opfer von Gewalt. Magie heißt Macht und diese verformt auch den Charakter vermeintlich sozialer(er) Frauen.
Wieder genial fand ich, wie die Autorin durch scheinbar abstruse Situationen auf Ungerechtigkeiten und Vorurteile in unserer (heutigen) Welt aufmerksam macht - in der Bar wird dem "schwachen Mann" Sekt oder Cocktail statt hartem Alkohol angeboten, etwas ist "männerleicht", jede (nicht jeder!) hätte dieses oder jenes getan haben können und beim Vorstellungsgespräch wird der Mann ausgiebig zur privaten Situation befragt - die Befürchtung, er könne bald Vater werden und würde dann ja natürlich für einige Jahre ausfallen, weil er sich um das Kind kümmern wollen wird. Und das ganze Konzept des Buches: Nicht, wie für Fantasy üblich, ein (rothaariges) Mädchen mit verbotenen magischen Kräften versucht in der Männerwelt ihren Platz zu finden, sondern ein magieloser Junge muss sich als Frau ausgeben, um Gerechtigkeit zu erlangen. Die klare Botschaft: Die Einordnung, Stärke und Interessen vom Geschlecht abhängig zu machen, ist vollkommener Quatsch!
»Aber so ist das eben mit der natürlichen Ordnung, jede hat ihren
Platz darin. Das hat nichts damit zu tun, dass der eine besser wäre als der
andere, es geht erst mal nur um seine Fähigkeiten, seine Stärke. Und so wie die
Wölfin mit ihrer Kraft und ihren Reißzähnen über dem Schaf steht, so steht die
Frau mit ihrer Magie über dem Mann.«
Mit seiner Entscheidung, allen Hindernissen zum Trotz, nach seinem Vater zu suchen, geht Kolja ein gewagtes Risiko ein und als Leser hält man immer wieder die Luft an - fliegt er auf?! Was geschieht dann mit ihm?! Schlussendlich wächst der "kleine Junge" aber an all´ den Herausforderungen und Gefahren, widersetzt sich dem Sog von Macht und Einfluss und findet seinen eigenen Weg; lernt mit seiner Vergangenheit und (alten) Wunden umzugehen. Ihn bei dieser Reise begleiten zu dürfen ist nicht nur aufregend, sondern ob seiner Entwicklung auch beeindruckend.
Während man mit Kolja mehr über das Goldene Reich, seine Regeln und Funktionsweisen lernt, erfährt man durch seine Erinnerungen und das Tagebuch einer zunächst unbekannten Frau gleichzeitig auch mehr über das verfeindete Große Moldawische Reich. Ein Reich, das grausamer, frauenverachtender und rückständiger kaum sein könnte und bei dem einem die Galle hochsteigt, wenn man von seinen Männern und Ansichten liest. Mit den Tagebucheinträgen habe ich regelrecht mitfiebern können, mal Schock, mal Verständnis, mal Ekel, mal Abscheu, mal Hass... und letztendlich zeigten sie, dass ein Mensch das Produkt seiner Geschichte ist. So verwerfenswert wir die Handlungen einer Person finden mögen - man sollte versuchen, die Motivation, die Gründe und den Kontext dieser nachzuvollziehen. So wie Helena sicher keine strahlende Heldin ist und auch Kolja nicht immer 100% moralisch korrekt handelt, so hat auch diese Frau ein Herz unter ihrer harten Schale.
»Was ich dir damit sagen will, ist, dass wir manchmal lieben, wen
wir lieben, auch wenn derjenige unsere Liebe nicht verdient hat. Dass wir
manchmal Gefangene unseres Gefallenwollens sind. Diese Lehre kannst du aus der
Geschichte ziehen.«
Aus emotionaler Sicht habe ich eine absolute Lieblingsszene: Die am Ende (S. 400/1), in der Helena Kolja versucht zu trösten und ihm erklärt, dass man lernen kann, mit Schmerz weiterzuleben - weil er derjenige ist, der sein Leben leben muss, nicht alljene, die ihm Schmerzen oder Freude bereitet haben. Helena findet so berührende, so starke, so wahre Worte...
Wie schon in Band 1 verwebt Monika Loerchner verschiedene Erzählstränge gekonnt und geschickt miteinander - Koljas Suche nach seinem Vater, die Mission der Rebellen rund um Adrian, das Leben besagter Tagebuchschreiberin und die mysteriösen Morde in der Hauptstadt. Alles läuft letztlich zusammen...
»Wie Blätter, die von einem Baum fallen und nie wieder an ihren Zweig zurückkehren können, waren auch diese Momente voller Glück und Zufriedenheit bereits im Vergehen begriffen, sobald sie begonnen hatten. Wir haben es nur nicht bemerkt.«
Insgesamt ist dieses Buch nicht nur ein würdiger Nachfolger des großartigen Auftaktes, sondern auch ein eigenständiges Abenteuer. Man trifft alte Bekannte wieder, erfährt, was aus Figuren des ersten Buches (zum Beispiel Marzena oder der Bluthexe) wird, lernt aber auch neue Charaktere kennen. Der Autorin gelingt erneut, die Geschichte ohne unnötigen Cliffhanger in sich abschließen zu lassen und gleichzeitig die Neugierde auf den folgenden Teil zu schüren.
Jetzt freue ich mich aber, im zweiten Band meiner Helena wieder mehr zu begegnen - so erfrischend Kolja auch ist; die eiserne Ex-Gardistin mit ihrer direkten und scheinbar harten Art habe ich einfach ins Herz geschlossen! Und nach dem dramatischen, niederschmetternden Ende des ersten Bandes konnte ich zwar nun erfahren, dass sie ihr neues Leben meistert, aber in ihre Gefühlswelt und Gedanken möchte ich weiter eintauchen. Außerdem vermute ich, dass sie wieder eine wichtige Rolle spielen wird, in dem Aufruhr, der kommen wird. Hoffentlich kommt auch die schöne Heidrun nicht zu kurz!
... noch ein paar Worte zu Gestaltung und Titel:
[4/5] Nachdem mir beim ersten Band das Cover keine Begeisterung entlocken konnte, finde ich die Bücher, so nebeneinander liegend, schön anzusehen und vor allem stimmig gestaltet. Dazu die Karte und die Kontinuität des magischen Symbols zu Kapitelanfängen - gefällt mir :) Der Titel ist zudem wieder klasse gewählt, spiegelt die Geschichte auf so viele Arten wieder, bezieht sich auf alle Erzählstränge und passt zudem stilistisch auch noch zu dem des ersten Bandes.
VIELEN DANK AN DEN ACABUS VERLAG FÜR DAS REZENSIONSEXEMPLAR
Macht und Magie, ein Reich kurz vor dem Umbruch und zwischen all´ dem Streben, Intrigieren und Chaos ein kleiner Junge auf der Suche nach seinem Platz in dieser Welt. Ein geniales Werk, dass sich der Ungerechtigkeiten unserer Welt annimmt und verdreht, durch bizarre Situationen darauf aufmerksam macht, wie viel man hinterfragungslos hinnimmt und zeigt, dass Ungleichheit vor allem eines ist: Ungerecht!
aufrüttelnd ~ unkonventionell ~ fesselnd
Matriarchat - wie viele bzw. welche Bücher kennt ihr, die sich dieses Themas annehmen? Frauenfeindlichkeit wird ja gerne thematisiert, aber ein Gegenentwurf dann selten skizziert...
Hey Marysol,
AntwortenLöschenich dachte ja erst, das wäre Teil 1. Wusste gar nicht, dass es hierzu mehrere Bände geben soll / wird. Weißt du, wie viele insgesamt?
Teil 1 liegt noch auf dem SuB. Ich wollte es schon lange mal gelesen haben. Doch deine Rezi zu Band 2 hat mir nun richtig Lust auf Band 1 gemacht. Danke für die Erinnerung. :-) Denn deine Beigeisterung für die Bücher ist richtig greifbar!
GlG, monerl
Ahoi monerl,
Löschenne keine Ahnung, wie viele Bände es geben wird. Mindestens drei aber wohl, denn die Geschichte endet mit diesem zweiten Teil definitiv noch nicht.
Bin gespannt, wie dir die Reihe gefallen wird; ich liebe sie ja. Helena ist allerdings eine wirklich ungewöhnliche Prota, muss man mögen. Teil 2 ist da wohl konformer, gefälliger...
Liebe Grüße
Mary <3
Da statte ich dir doch mal einen Gegenbesuch ab, ich bin auch sehr gespannt wie es weitergehen wird. Das darf nicht zuende sein
AntwortenLöschenAhoi und willkommen an Bord ;)
LöschenStimmt schon, gefühlt beginnt doch jetzt erst alles. Und ich möchte unbedingt wieder mehr von Helena lesen :)