Ob #metoo oder die Proteste im Iran: In den letzten Jahren gab es zahlreiche Anlässe, bei denen Frauen füreinander eintraten. Ein Prinzip, das schon die Feminist:innen der 1970er-Jahre propagierten – nicht umsonst lautete einer ihrer bekanntesten Slogans: Sisterhood is powerful! Aber Schwesterlichkeit ist mehr als Networking, mehr als weibliche Solidarität. Es ist eine politische Praxis. Julia Korbik setzt sich mit dem Prinzip der Schwesterlichkeit auseinander, will verstehen, wie sie aussehen kann – und was sie verhindert. Sie hinterfragt den Feminismus der letzten Jahre und erforscht dieses Thema anhand persönlicher Anekdoten, Beispiele aus Literatur, Popkultur, Geschichte und Gesellschaft inspirierend, nuanciert und neugierig.
Erinnert ihr euch daran, dass ich schrieb, ich wolle momentan einfach keine Dystopien, keine (fiktiven) Bücher über und mit Gewalt an Frauen mehr lesen, sondern Sachbücher und Utopien einer besseren Gesellschaft?! Here we go, Julia Korbik liefert mit ihrem neuen Buch eine Mischung aus Anklage am Ist-Zustand, utopischer Zukunftsvorstellung und hoffnungsvollem So-könnte-es-klappen.
Schwesterlichkeit als theoretisches Konstrukt, praktische Handlungsweise und gelebter Alltag - damit beschäftigt sich dieses Buch und holte mich dabei in Ton und Aussage ab. Ich fühlte mich, um hier mal Neudeutsch zu sprechen, embraced and empowered. Denn Julia Korbik zeigt, wie stark wir, die wir gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit sind, gemeinsam sind, waren und sein können und widmet sich auch den unangenehmen Fragen und inhärenten Widersprüchen des Feminismus.
»Schwesterlichkeit ist ein radikales Konzept. Sie stellt sich der
männlichen Hegemonie entgegen und widersetzt sich der patriarchalen Logik, der
zufolge Frauen miteinander um begrenzte Ressourcen– Macht, Aufmerksamkeit,
Raum– konkurrieren müssen: Es geht nicht darum, möglichst überhaupt ein Stück
vom Kuchen zu bekommen, sondern darum, einen anderen, einen größeren Kuchen zu
backen. Schwesterlichkeit ist damit nicht nur ein Werkzeug, sondern eine
ethische Haltung, ein ambitioniertes politisches Projekt – und mehr als nur ein
Slogan. Sie ist ein gemeinsamer Kampf, und dieser Kampf nennt sich Feminismus.
Das feministische Wir ist ein solidarisches Wir. Ein vielfältiges Wir.«
Denn ja, allein vom Wort her geht es im Feminismus um "Frauen" und diese diffuse Annahme ähnlicher Lebenserfahrungen aufgrund systemischer Strukturen schafft eine einende Grundlage und greift doch zu kurz - abgesehen davon, dass Feminist*innen kein Matriarchat, also keine Umkehrung der bestehenden Verhältnisse, sondern eine gerechte Welt für alle anstreben, hinterfragen wir ja zugleich auch die binären Kategorien "Mann" und "Frau"; möchten sie aufbrechen. Aber dieser Widerspruch delegitimiert den Feminismus nicht! Einheit erfordert keine Homogenität. Es ist sowieso skurril und unsinnig, dass von Feminist*innen Einigkeit in allen Punkten erwartet wird, wo er doch gerade von der Anerkennung der menschlichen Komplexität lebt! Interfeministische Auseinandersetzungen finden statt und das ist okay. Dass sie medial so ausgeschlachtet werden, um das Klischee zu bedienen, Frauen seien nun mal zickig, stutenbissig, einigungsunfähig oder was auch sonst immer behauptet wird, ist Teil des bewussten Versuchs, mittels (geschaffener) Hierarchien und Isolierung Austausch zu verhindern. Dabei wäre genau der so wichtig für die Schaffung eines Kollektivs. Und die Geschichte hat gezeigt: Gemeinsam sind Menschen stark!
Gerne wird ja auf den vermeintlich "guten" Status quo in der westlichen Welt oder auf das "woanders ist es doch viel schlimmer" verwiesen. Aber keine Verbesserung, egal ob bezüglich Ehe, Schwangerschaft und (sexueller) Selbstbestimmung, Arbeitsrecht oder politischer Beteiligung, ist vom Himmel gefallen oder "passierte" einfach so. Grund waren immer die vorangegangen Kämpfe und das zeigt - zukünftige Verbesserungen wird es auch nur durch sie geben. Denn: Wenn Frauen sich nicht zusammentun, solidarisch füreinander einstehen und gemeinsam für ihre Anliegen eintreten, tut es auch sonst niemand. Nur weil es "heutzutage" oder "hier" besser (an welchen Parametern auch immer gemessen) sein mag als "damals" oder "dort", heißt es noch lange nicht, dass jetzt Zeit wäre für Blümchen und Konfekt. Feminismus wird gebraucht, bis alle Menschen frei und selbstbestimmt leben dürfen.
Und dafür bedarf es weibliche Vorbilder und Netzwerke, die Erkenntnis, dass es keine "unüberbrückbaren" Unterschied gibt und eben: Schwesterlichkeit. Eine Solidarität, die das Narrativ, es könne "nur Eine geben" sprengt. Ich muss eine andere Frau (einen Menschen im Allgemeinen!) nicht verstehen, nicht einmal mögen, um ihr gegenüber solidarisch, schwesterlich zu sein. Wenn ich ihr helfen, etwas Positives über sie sagen kann - dann tue ich das. Wenn ich das nicht kann, sage oder tue ich zumindest auch nichts Belastendes. Und wenn ich doch etwas Negatives über sie sagen kann, die Macht habe, ihr das Leben schwerer zu machen - dann wäge ich ab, ob das wirklich nötig ist. Damit ich weiterkomme, muss ich andere nicht unten halten; das "ich bin anders als die anderen Frauen" wertet mich nicht auf, sondern die anderen grundlos ab. Gemeinsam sind wir viel stärker. Gerechtigkeit ist kein Kuchen, der kleiner wird, je mehr daran teilhaben. Es ist Platz für alle. Sogar für mehrere Frauen, wer hätte das gedacht! Isolierung schwächt und lähmt uns, bringt uns zum Schweigen, dabei könnten wir zusammen so laut und stark sein. Waren es schon.
»Denn Schwesterlichkeit lebt in Verbindungen, die wir zwischen Frauen,
die wir zu anderen Frauen spüren. Frauen, die wir persönlich kennen oder die
wir noch nie getroffen haben. Frauen, die immer noch in der Welt wirken oder
die schon lange tot sind. Frauen, die uns ähnlich sind oder ganz anders als wir
selbst. Frauen, die uns im richtigen Moment begegnen, die uns stärken,
motivieren oder bei denen wir schlicht das Gefühl haben, dass sie uns nahe sind
und wir etwas mit ihnen teilen.«
Warum es weibliche Vorbilder und Netzwerke zudem so dringend braucht: Männliche gibt es schon. Zuhauf! Feminist*innen verbringen einen Großteil ihrer Zeit und Energie, so wird das auch erwartet, damit, Nicht-Feminist*innen "überzeugen" zu wollen, ein Gegennarrativ aufzustellen. Das ist auch richtig und wichtig, aber um Veränderungen zu erreichen, braucht es nicht die Zustimmung aller; wir sollten nicht all unsere Ressourcen aufwenden, unsere Ziele zu diskutieren, sondern sie als Prämisse eines Miteinanders setzen. Uns untereinander vernetzen und austauschen, aus unserer Vielfalt und unseren Gemeinsamkeiten Kraft schöpfen. Und realisieren: Unsere Ausgangsbedingungen sind in einem (von Rassismus durchsetztem, kapitalistischem) Patriarchat ganz unterschiedlich; wir sollten uns also nicht mit den Maßstäben eben jenes Systems messen und messen lassen - mein Englischlehrer hat, um die Unterschiede zwischen equality und equity zu verdeutlichen, mal das Bild von unterschiedlich tiefen Brunnen bemüht, in denen Menschen sind, die herausklettern wollen. Wenn in jeden Brunnen nun ein gleich langes Seil gehängt wird, haben es die in den flacheren Brunnen ja leichter, herauszukommen, als jene in den tieferen. Wie unfair wäre es bitte, denen, die trotz Seil nicht oben ankommen, zu unterstellen, sie seien schlechte oder unbemühte Kletterer? Frauen und ihre Leistungen wurden in der Geschichte systematisch und absichtlich "vergessen", aus ihr herausgeschrieben oder ihre Bedeutung schlichtweg kleingeredet. Deshalb braucht es das Wissen um sie, um Mut zu schöpfen. Und die Erkenntnis, dass die Bedingungen auch einfach nicht gerecht sind und waren, wenn es wieder heißt "ja wo sind/waren sie denn, die Frauen?!".
»Wenn wir sagen, etwas sei „utopisch“, dann meinen wir damit oft, dass
etwas unrealistisch oder realitätsfremd ist und damit nutzlos. Doch Utopien
sind ganz und gar nicht nutzlos: Sie sind eine Form des Träumens, sie zeigen,
was sein könnte und wofür es sich zu kämpfen lohnt. Die Gleichberechtigung der
Geschlechter ist in diesem Sinne ebenfalls eine Utopie, denn sie ist noch
längst nicht erreicht. Aber wir sind ihr im Laufe der Jahrhunderte Stück für
Stück nähergekommen, manchmal langsamer, manchmal schneller, manchmal ging es
dabei zwei Schritte vor und einen Schritt zurück. Feminismus ist der vielleicht
wirkmächtigste, konkreteste und sichtbarste Ausdruck von Schwesterlichkeit. Er
ist die Bewegung, die sich den Begriff – im wahrsten Sinne des Wortes – auf die
Fahnen geschrieben hat.«
In meinem Politikstudium habe ich mal ein Seminar belegt zu "Gender und Utopie" - damals hielt ich von beidem nichts; ich saß da nur, weil mir das zeitlich gut in den Stundenplan passte. Welch Glück, denn die Lektüre und der Austausch haben mein Denken maßgeblich verändert und geprägt, meinen Blickwinkel geweitet und mich realisieren lassen, dass "utopisch" kein abwertendes Adjektiv ist und sein sollte. Denn wenn wir unsere Energien immer nur für Worst-Case-Szenarios verwenden, wenn wir uns manche Gedanken gar nicht zu Ende denken trauen, dann fehlt uns die treibende Kraft zur Veränderung. Denn niemand stellt sich in einer Gehaltsverhandlung, beim Feilschen auf dem Markt oder eben beim großen Gesellschaftsentwurf hin und bietet direkt das eigene Minimum an. Shoot for the moon, cause even when you miss you are still by the stars. Maximalforderungen, um voranzukommen. Wenn wir uns vorstellen, was sein könnte, wie wir gerne leben möchten, ermöglicht uns doch erst, einen Schritt in die Richtung zu machen. Wenn das Antike Griechenland wieder als "Wiege der Demokratie" gepriesen wird, stellt sich doch auch niemand vor, Sokrates, Platon, Aristoteles und Co hätten sich auf die Agora gestellt und "joah, also ich schlage dann Ausgleichs- und Überhangmandate vor, ein Arbeitsparlament und Föderalismus mit Bundestag wären auch schick" gesagt, oder?! Demokratie, eine gerechte Gesellschaft und Sozialstaat wachsen! Auch an Fehlern, Irrungen und falschen Entscheidungen. Wenn wir nicht den Mut haben, erstmal voranzuschreiten, auch wenn wir nicht alle Detailfragen jetzt und sofort beantworten können, wird sich nichts ändern. Und wenn wir nicht den Mut haben, Utopien zu träumen, etwas Imaginäres zu erschaffen, dann wird sich ebenfalls nichts ändern!
Um den Bogen zurück zum Buch zu schaffen: All´ diese Gedankengänge, die mich momentan und über die letzten Jahre hinweg beschäftigen, greift Julia Korbik auf und schafft es auf wunderbar wertschätzende Weise, anklagend ohne erhobenen Zeigefinger, mutmachend, versöhnlich und alltagsorientiert über den Feminismus zu schreiben; das Wir-Gefühl heraufzubeschwören und zu zeigen, wie schön und stark Schwesterlichkeit ist, war und sein kann. Ich liebe es, wie sie Feminismus als Art, individuell zu leben und kollektiv zu kämpfen, auffasst und darstellt. Ich muss weder jede Frau verstehen oder mögen, noch in jeder meiner Handlungen bewusst und dezidiert feministisch sein, um mich als solche zu begreifen, als Schwester zu sehen und mir eine bessere Welt zu erträumen und erkämpfen.
Ach ja, noch zwei Notizen am Rande: Hysterektomien (die ganze oder teilweise Entfernung der Gebärmutter) gehören zu den häufigsten gynäkologischen Operationen. Es gibt also gar nicht so wenige Frauen, die keinen Uterus mehr haben - die gerne kritisierte und als "woke" verschriene Formulierung "Menschen mit Uterus" hat also allein der inhaltlichen Korrektheit wegen ihre Berechtigung 😉 Und bezüglich representation matters bzw. warum Sichtbarkeit von Frauen und weibliche Vorbilder wichtig sind: Weniger als 5% der Künstler*innen der "Modernen Kunst" sind Frauen - aber 85% der dargestellten Nackten.
[4/5] Ich finde die Gestaltung des Covers für ein Sachbuch ausgesprochen ansprechend; farblich wie von der Dynamik her. Ebenso den Titel.
Ich kann das Buch nur aus vollstem Herzen allen empfehlen, nehme "Mitglied im Club der blutigen Unterhosen" begeistert in meinen Sprachgebrauch mit auf hoffe, dass Liberté, Égalité, Sororité! mehr als ein T-Shirt-Spruch sein wird.
Ich geb es zu: Die heutige Rezension war mehr politischer Essay und persönlicher Beitrag denn reine Buchbesprechung - seid ihr diesem Format gegenüber auch offen oder bevorzugt ihr ausschließliche Buchbewertung? Lasst es mich gerne wissen :)
Hallo liebe Ronja,
AntwortenLöschenGleichberechtigung.....hm, hm,.......wollen das die Frauen überhaupt immer/überall.
Jahreshauptversammlung des Sportvereins....45 Männer und 5 Frauen haben daran teilgenommen...wieso so wenig???,
Ganz viele Frauen/Mädchen treiben im Verein....es wird auch ganz viel angeboten Gymnastik/Rückenschule usw. da sind die männlichen Teilnehmer echt in der Minderheit.
Letztendlich liegt es doch an uns Frauen selber....für Gleichberechtigung zu sorgen oder?
Gesetzesänderungen/Wahlrecht alles ging von uns/den Frauen aus oder?
Deshalb bin ich immer noch für "Selbst ist die Frau".....Mitstreiterinnen sind gut, aber keine Bedingung wenn sich etwas ändern soll/muss .....siehe z.B. Verstümmelung von Mädchen in Afrika............ Frau muss nur selber bereit dazu sein.....!!!
LG...Karin..
Ahoi liebe Karin,
Löschenjein... es stimmt, dass die meisten Fortschritte in Sachen Frauenrechte von uns Frauen kamen - und es ist wichtig, dass wir für unsere Recht und einander eintreten. Gleichzeitig reicht es nicht aus, wenn sich benachteiligte Menschen für ihre Rechte einsetzen; das muss eine gesellschaftliche Ambition sein. Es ist wichtig, dass auch Männer Feministen sind und laut sagen "JA! Das ist mir ein Anliegen". Gerade wegen der Strukturen in denen wir leben und in denen oftmals eben nicht Frauen das sagen haben. Nur wenn ein Mädchen gegen Genitalverstümmelung ist, hört diese Praxis ja nicht auf. Im Gegenteil - Das gambische Parlament berät z.B. über einen neues Gesetz, das ein Verbot der weiblichen Genitalverstümmlung aufheben soll... da nützt und reicht es nicht, wann "Frau bereit ist"; wenn Männer über sie bestimmen...
Liebe Grüße & ein wunderbares Osterwochenende
Ronja
Hallo Ronja,
Löschenhm...das Thema ist ..schwierig, aber ich denke immer noch.....die Frauen/älteren Frauen , die diese Verstümmelungen an den Mädchen machen.....
Ihr Verhalten ändern müssen....also an 1.Stelle der Kette möglicher Veränderungen stehen....sie müssen..."Nein"..."Nein" dazu sagen....Sie machen da nicht mehr mit..
Oder glaubst Du "ein Mann" würde selber ein Messer/oder was dazu benutzt wird in die Hand nehmen und Hand an Frauen legen....wenn es ums Verstümmeln geht.....?
reales Leben oder Roman..egal ...z.B. der Report der Magd.....auch hier war es eine Frau, die über die Mägde regiert hat/ihnen wenn nötig auch Gewalt angetan hat usw.
Solche Aufgaben gibt man doch "gerne " an entsprechende Frauen ab....
LG..Karin..
Ich versteh was du meinst... und halte trotzdem Frauen nicht für allein schuldig - sie machen das ja oft aus dem verquerten Wohlmeinenden; in dem Wissen, dass in ihrer Gesellschaft Frauen eben nur einen (oder einen höheren) Wert haben, wenn sie eben beschnitten sind... Aber ja klar, auch Frauen tragen aktiv zum Fortbestehen des Patriarchats bei und engagieren sich auch aktiv für den Rückschritt; siehe Abtreibungsgegnerinnen ^^
Löschen"Solche Aufgaben gibt man doch "gerne " an entsprechende Frauen ab..." - da sagst du was! Gibt ja auch das Phänomen der "glass cliff" - Firmen, denen es seit Jahren schlecht geht, übertragen die Leitung gerne an Frauen, die dann quasi geplant scheitern, damit dann später, wenns wieder läuft, wieder nen Typ an die Spitze kommt; Drecksarbeit können gerne dann aber die Frauen machen...
LG Ronja