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Dienstag, 27. Februar 2024

{Rezension} Der Leuchtturm ~ Jean-Pierre Abraham

Der Leuchtturm || Jean-Pierre Abraham || Jung und Jung Verlag || Erzählung || 
eBook || 192 Seiten || 1/1

Ar-Men, der Leuchtturm, von dem hier erzählt wird, ist eine Legende: viele Kilometer vor der bretonischen Küste, so weit wie kein anderer, steht er einsam und stolz in den Fluten des Atlantiks, auf einem schmalen Felsen, der nur bei Ebbe aus dem Wasser ragt. Und auch dieses Buch und sein Autor sind legendär: 1959 heuert der Schriftsteller Jean-Pierre Abraham auf Ar-Men als Wärter an und bleibt mit wenigen Unterbrechungen bis 1962 auf seinem Posten in der »Hölle der Höllen«, wie der Leuchtturm unter Seeleuten genannt wird. Die Aufzeichnungen, die er dabei niederschreibt, erscheinen 1967 als Buch, das Buch macht ihn berühmt. In präzisen poetischen Bildern und kurzen, dichten Sätzen beschreibt es den Alltag unter Extrembedingungen, das Entzünden und Löschen des Feuers, das Warten der Maschinen, das Streichen der Wände, die kleinsten Verrichtungen, die nötig sind, um den Turm gegen das Wüten des Meeres zu verteidigen. Es erzählt aber auch von der Einsamkeit inmitten der großen Leere, den Abenteuern der Selbsterforschung, den inneren Abgründen wie der Schönheit des Augenblicks. Es zeigt den Menschen im Ringen mit sich und der Natur, im Tosen und Toben der Elemente und im Erschrecken über die Stille, wenn der Sturm sich legt.


Wer mich und meinen Blog kennt, weiß: Leuchttürmen bin ich verfallen und der festen Überzeugung, die geborene Leuchtturmwärterin zu sein. Leider im falschen Jahrhundert geboren. Dementsprechend konnte ich dieser Neuauflage von Jean-Pierre Abrahams Aufzeichnungen seiner Zeit im bretonischen Leuchtturm Ar-Men natürlich nicht widerstehen!

Und das sei vorweg gesagt: Dieses Buch ist genau das - Aufzeichnungen. Eine lose Aneinanderreihung von Tagebucheinträgen. Chronologisch zwar, aber unregelmäßig. Mal liegen Stunden zwischen den Texten, mal Tage. Einen klassischen Spannungsbogen, ein Anfang und ein Ende, einen roten Faden gibt es nicht.

»Noch verfügt mein Inneres nicht über das Gemenge aus Sorglosigkeit und das einen guten Steuermann ausmacht. Gewiss, eines Tages werde ich wieder an Bord eines Schiffes sein, das sich tief in die Woge bohrt. Mit einer Frau auf hoher See: Etwas Schöneres gibt es trotz allem nicht.« 


Das Buch lebt von der nüchternen, schlichten Sprache und den gewaltige Bildern, die sie zugleich zaubert, der Gedankentiefe des Autors und der kleinteiligen Beschreibung des Lebens- und Arbeitsalltags. Der Ton ist dabei melancholisch, aber nicht anklagend - für Jean-Pierre Abraham ist Ar-Men nicht "die Hölle der Höllen" und doch scheint er rastlos, unzufrieden und wie getrieben. Mich begeisterten die tönenden Beschreibungen, etwa des Messingputzens, des aufgewühlten Meeres und allgemein des Wetters - die Sprache ist knapp und präzise, genau wie die Beobachtungen und Vergleiche.

Ich habe es geliebt, in den Alltag förmlich einzutauchen und in Gedanken vor Ort zu sein, mich fast schon wie eine Leuchtturmwärterin zu fühlen. Mit den geistigen Ausschweifungen des Autors hatte ich jedoch meine Schwierigkeiten; sowohl wegen des bedrückenden Tons, als auch weil ich oft nicht folgen konnte. Es blitzen immer wieder Erinnerungen in ihm auf, die er jedoch nur anreißt, nicht aber ausführt; abrupte Gedankenabbrüche und überraschende Wiederaufnahmen zwischen den Alltagsschilderungen ließen mich im Unklaren darüber, was genau ihn bekümmert und bewegt.

»Wir haben das Steuer in der Hand. Manchmal entflammt im hohlen, von jeglichem Gedanken leergespülten Herzen von selbst ein anderes Leuchten, wie soll ich sagen: Vielleicht ist es Inbrunst, Leidenschaft. Ich liebe dieses Leben mit aller Seelenkraft, will seine Haut befühlen, seine nackte Haut, ohne Tand. Mit einem Mal habe ich den Eindruck, dies sei ganz einfach.«


Schön fand ich auch das Nachwort der Übersetzerin Ingeborg Waldinger, aus dem ihre Begeisterung für Werk und Autor nur so sprüht und das zur Einordnung und als Lektürehilfe hilfreich ist. So schreibt sie: 

"Leuchttürme sind Träger einer mächtigen Symbolik. Sie sind rettende Orientierung, Ikonen der Wachsamkeit, der Technik. Ihre Wärter gelten als Heroen der Einsamkeit. Der Leuchtturm Ar-Men ist sowohl realer Ort als auch Metapher. Er ist ein Ort der Kontemplation, der Selbstwerdung und der ästhetischen Produktion. Der Dichter als Türmer: Montaigne, Rilke, Hölderlin oder Yeats haben diese Form des Daseins gewählt. Jean-Pierre Abraham führt im Turm eine Doppelexistenz. Denn Disziplin und Geduld, Präzision und Routine des Leuchtturmwärters bleiben nicht ohne Einfluss auf die Literarisierung dieses Turmdaseins."

Dennoch blieb im am Ende des Buches unbefriedigt zurück; ich habe das Gefühl, die Botschaft des Autors nicht verstanden zu haben, die Aussagen nicht greifen und in ihrer Tiefe erfassen zu können. Habe ich mein eigenes Verhältnis zum Meer an einigen Stellen zwar in Abrahams Worten wiederfinden können und die Poesie seiner Worte oftmals bewundert, arbeitete ich mich doch mehr durch die Seiten, als dass ich das Buch genoss. Diese fragmentarische Erzählung ist wenig gefällig und nicht geschlossen; eher kein Buch für das breite Publikum.


... noch ein paar Worte zu Gestaltung und Titel:
[4/5] Ich liebe das dynamische Bild auf dem sonst schlichten neuen Cover und hätte im Buchladen zweifelsohne nach diesem Buch gegriffen. Und auch den Titel mag ich trotz seiner Nüchternheit.


VIELEN DANK AN JUNG UND JUNG FÜR DAS REZENSIONSEXEMPLAR

Abraham gießt das Kleinklein eines (wenn auch ungewöhnlichen) Alltags in bildgewaltige und oftmals schwermütige Worte. Ein fragiler, intimer Einblick in das Leben am Rande der Zivilisation, den Kräften der Natur ausgesetzt.

vielschichtig ~ fragmentarisch ~ bildgewaltig

Schreibt ihr Tagebuch und mögt ihr das Format in Büchern? Ich habe festgestellt, dass es zu diesem Leuchtturm auch einen Graphic Novel aus dem Splitter Verlag gibt, der mich reizt; mal sehen, ob der demnächst einziehen darf ^^


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{mit einem Klick auf die Cover gelangt ihr zu den Rezensionen}

2 Landgänge

  1. Liebe Ronja,

    ich hatte vor kurzen schon mal hier etwas geschrieben. Das Bild auf dem Buch müsste am 8.2.1016 aufgenommen worden sein. Bei Wetterzentrale findet man unter Archiv auch die passende Isobaren Karte dazu.
    Ein toller Bericht!

    Liebe Grüße
    Martin

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    1. Ahoi Martin,

      oh danke für den Hinweis; das ist ja super spannend!

      LG Ronja

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