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Montag, 18. September 2023

{Rezension} Die gelbe Tapete & Herland ~ Charlotte Perkins Gilman

Die gelbe Tapete & Herland || Charlotte Perkins Gilman || Anaconda Verlag || 
Belletristik || HC || 288 Seiten

Charlotte Perkins Gilmans einflussreichste Werke in einem Band: Mit der feministischen Horrorerzählung Die gelbe Tapete gelang ihr 1892 der Durchbruch. Eine junge Frau wird nach der Geburt ihres Kindes zu strikter Schonung verdammt, im Bett einer Dachkammer mit vergitterten Fenstern soll sie sich erholen, von ihrem Ehemann und dem Arzt streng überwacht. Doch die Muster der Wandtapete führen ein unheilvolles Eigenleben... In Gilmans utopischem Roman Herland brechen drei abenteuerlustige Männer auf zu einem geheimnisvollen »Frauenland«; die Realität der friedlichen Frauengesellschaft wird das Welt- und vor allem Frauenbild der drei für immer verändern.


Auszüge aus Herland, das als erste klassisch feministische Utopie der Literaturgeschichte gilt, habe ich vor Jahren im Politikstudium gelesen und auf Die gelbe Tapete wies mich Die kranke Frau  hin - als nun beide Geschichten in einem Band veröffentlicht wurden, war das natürlich wie für mich gemacht!

Das Seminar Utopie & Geschlecht hatte ich ursprünglich nur belegt, weil es zeitlich gut in den Stundenplan passte, wirkliches Interesse hatte ich nicht. Doch das sollte sich ändern! Didaktisch wie inhaltlich wurde es, zusammen mit Geschichte der Ideen europäischer Männer über sich selbst vom selben Lehrbeauftragten, zum besten Seminar meines Studiums, brachte mich Ideengeschichte und vielen Autor*innen näher und änderte unter Anderem meine Ansichten zu gendergerechter Sprache. Und Herland war einer der Texte, den ich auszugsweise in diesem Seminar las und diskutierte. Ich habe meine alten Unterlagen herausgekramt und vieles von dem, was wir da angeschnitten und überlegt hatten, fand ich beim Lesen erneut; teilweise habe ich sogar die gleichen Textpassagen markiert. 

»Natürlich müssen in einer zweigeschlechtlichen Gesellschaft die geschlechtsspezifischen Merkmale verstärkt werden. Aber es gibt doch auch bestimmt genug Eigenschaften, die allgemein menschlich sind oder nicht?«


Zwischen all´ den Texten von Platon, Morus, Adorno, Bloch oder Engels empfand ich Gilmans Schilderung damals schon als angenehm niederschwellig; einfach zu lesen. Das erging mir auch jetzt mit der deutschen Fassung so; ich flog durch die Zeilen und Seiten. Während ich mehr mit den Frauen aus Herland denn dem männlichen Protagonisten und seinen Kumpanen sympathisierte, stolperte ich zugleich über die unangenehmen Aspekte dieser Utopie - Eugenik und Rassismus (oder zumindest die Annahme einer Überlegenheit von Weißen gegenüber "Wilden") schwangen durchaus nicht subtil mit. Auch die binäre Heteronormativität stieß mir auf; Begeisterung jedoch für den Spiegel, den Gilman der patriarchalen Gesellschaft vorhält - und für Frauenbekleidung mit vielen Taschen!

»Das führte mich jedoch schnell zu der Überzeugung, dass dieser »feminine Charme«, den wir so schön finden, in Wirklichkeit gar nicht feminin ist, sondern nur die männlichen Wunschvorstellungen widerspiegelt - von den Frauen entwickelt, um uns zu gefallen, weil sie gezwungen werden, uns zu gefallen - und in gar keiner Weise grundsätzlich zur weiblichen Natur gehört.«


Die gelbe Tapete nimmt mit weniger als 40 Seiten nur einen geringen Teil des Buches ein und hat einen ganz anderen Erzählstil. In Tagebuchform folgen wir den Gedanken einer jungen Frau und frischen Mutter; immer wieder unterbrochen von fast schon wahnhaften Beschreibungen eben jener titelgebenden Tapete, die zur eigentlichen "Hauptperson" der Geschichte wird. Die Kritik an Patriarchat, fast schon rechtloser Stellung der Frau in der Ehe, "Hysterie" und deren "Behandlung" sind lauter, als die (wie aussagekräftig!) namenlose Protagonistin es formuliert; gleichzeitig ist diese Geschichte ausgesprochen skurril und lässt bei mir einige Fragen offen.

»[…] Zeig mir doch eine Gemeinschaft männlicher Lebewesen, sei's nun Vogel, Käfer oder Hausvieh, die so gut zusammenarbeiten. Oder eines unserer männlich geprägten Länder, in dem die Leute so zusammenarbeiten wie hier! Ich sage dir, Frauen sind zur Zusammenarbeit geboren, nicht die Männer!«


Kritik und Gegenentwurf - zwei stilistisch völlig verschiedene und zugleich beides dezidiert feministische Texte aus den Vereinigten Staaten zwischen 19. und 20. Jahrhundert, die auch heute noch Beachtung verdienen. Die gelbe Tapete ist hierbei autobiographisch geprägt, wie eine Stellungnahme der Autorin im Buch verrät und Herland hat noch eine Fortsetzung, von der ich hoffe, dass sie ebenfalls übersetzt und verlegt wird. Wie gesagt - völlig unkritisch sollen und dürfen Gilmans Werke nicht gelesen werden, gerade weil sei Befürworterin der Eugenik war.* Zugleich war sie eben auch Vorbild in ihrem unorthodoxen Leben und Schreiben, Reformerin und wichtig für die Frauenrechtsbewegung.


*Eine ausgesprochen interessante Auseinandersetzung mit Rassismus und Klassismus in Gilmans Texten ist "The Yellow Wallpaper," and the Politics of Color in America.


... noch ein paar Worte zu Gestaltung und Titel:
[5/5] Die Gestaltung des Buches spricht mich an und passt zudem hervorragend zu Inhalt und (Teil-)Titel. Herland fand ich damals schon einen genial gewählten Titel und bin froh, dass hier nicht übersetzt wurde.


VIELEN DANK AN RANDOMHOUSE FÜR DAS REZENSIONSEXEMPLAR

Das Buch enthält zwei Geschichten aus der Feder von Charlotte Perkins Gilmans, die - so unterschiedlich sie in ihrer Handlung und Erzählstil auch sein mögen - in der feministische Kritik an der ungerechten, patriarchalen Welt ihre Gemeinsamkeit haben.

feministisch ~ kritisch ~ lesenswert

Habt ihr von Charlotte Perkins Gilman gehört/gelesen? Welche Bücher und Texte haben eure Ansichten verändert oder zumindest geprägt? Welchen Klassiker habt ihr zuletzt gelesen?


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